Fette Überraschung: Mich erreicht die Einladung zu einer kostenlosen First-Class-Seereise-Woche auf dem griechischen Luxus-Liner »Aristoteles Onassis«. Start übermorgen in Athen. Anreise in der Business-Class von Olympic-Airlines natürlich inklusive. Weil ich – mangels aktueller Embedded-Journalistik-Aufträge meines vermutlichen Gönners, dem Boss des Finanzministeriums – ohnedies ein wenig klamm bin, sehe ich meine Grundversorgung wenigstens für einige Tage angemessen gesichert und sage zu. [Vorabdruck aus der Politik & Kultur 2/2015]
Mein Empfang in Athen ist fürstlich. In einer Pullman-Limousine werde ich zum Hafen expediert und beziehe eine Luxus-Suite auf dem wirklich prunkvollen Schiff. Nach Verlassen der Zwölf-Meilen Zone bittet man mich zu einem festlichen Diner in die beeindruckend ausgestattete Kapitäns-Hall. Teure Gobelins mit Motiven der griechischen Mythologie polstern die Wände. Überall Vitrinen mit Original-Artefakten aus dem klassischen Hellas. Als Absolvent eines altsprachlichen Gymnasiums (Griechisch: »ausreichend«) bin ich dennoch überwältigt. Angerichtet lockt eine überbordende Tafel voller Hummer, Langusten und in der Mitte einem über Holzkohle-Feuer rotierenden Lammrücken samt allen erdenklichen Beilagen-Schmankerln.
Auf mich wartet ein kahlköpfiger Jeansträger, der sich in feinem Deutsch als Sokrates Souflaki, Freund der griechischen Unabhängigkeit, vorstellt, dessen Ähnlichkeit mit Giannis Varoufakis mich freilich verunsichert. Nach ein wenig Small-Talk und vier doppelten Ouzo kommt er zur Sache: Er hätte mich als Experten für ungewöhnliche Problemlösungen ausgespäht. Zum einen wäre ich mit dem Vorschlag, griechische Luxusyachten zu bewaffnen und Brüssel, am besten ganz Nordeuropa einzunehmen, erschienen in der Zeitschrift »Politik & Kultur«, schon mal als Sympathisant hellenischer Dominanz aufgetreten. Zum anderen hätte er nie ein von mir verfasstes Gedicht vergessen, das meine klare, edle Geisteshaltung aufs Trefflichste dokumentierte. Und auswendig rezitiert er tatsächlich:
Kriechender, schlappst Du nach Protz,
saug Krokodilleder leer,
fäll die Madonnen der Hausbar.
Scherbe Patina röchelnden Glanzes.
Entjungfer Breitschwänze, Wassermelonen,
weil sie Kulturflennern Fräcke bekopfen. Austergeschlürf brennt Dir die Ohren. Also beeil Dich.
Sprosse düngen schon Beulen.
Den Fraß dauen nächste mit Masken aus Mensch.
Ihre Wahrheit zerlullt Axiome.
Beeil Dich, sonst wirst Du von ihnen
gerettet.
Man könne sich die Lektüre des gesamten Marx’schen »Kapitals« sparen, wenn man dieses nahezu hexametrische Kunstwerk verinnerliche, schwärmt Souflaki, eine Hummerschere in der Linken. Ich solle meine Phantasie spielen lassen, in dieser gelösten Atmosphäre würde mir sicher etwas einfallen zur Lösung der von gewissenlosen Kapitalisten ausgelösten griechischen Wirtschaftskrise.
Matt erinnere ich mich an eine lyrische Periode in den späten 60ern des vergangenen Jahrhunderts. Aus dieser Zeit muss dieses Geschwurbel von mir stammen. Aber einen großzügigen Gastgeber beleidigt man nicht. Also nicke ich nur zustimmend und ziehe mich nach vier weiteren doppelten Ouzos in meine Suite zurück. Leicht benebelt entsinne ich mich eines alten Filmes: »Die Maus, die brüllte«. Flugs öffne ich Wikipedia und finde prompt dank des Film-Plots die Lösung: In den französischen Alpen liegt das Herzogtum Groß Fenwick. Wegen des Exports ihres Weins »Pinot Grand Fenwick« geht es den Einwohnern prima. Als ein Unternehmen in den USA den Wein imitiert, droht Groß Fenwick der Bankrott. Also wird beschlossen, die USA anzugreifen, den Krieg zu verlieren und mit der dann zu erwartenden Wiederaufbauhilfe der USA den Staatshaushalt zu sanieren. Unglücklicherweise findet in New York gerade eine Luftschutzübung statt und die Stadt ist menschenleer. So nimmt die Fenwicker Armee, die mit Pfeil und Bogen bewaffnet ist, den Erfinder der Q-Bombe Professor Kokintz mitsamt seiner Tochter gefangen. Mit dieser Superwaffe in den Händen ist das Herzogtum mit einem Schlag eine Weltmacht. Die völlig überrumpelten USA sehen als einzige Lösung des Problems ihre Kapitulation. Heureka!
Flugs schwanke ich zu Souflaki zurück um ihm vorzuschlagen, dank meiner Kontakte zu ukrainischen Separatisten eine kleine Atombombe zu besorgen. Doch Souflaki grinst nur fies: Das Problem habe sich inzwischen erledigt. In Kooperation mit der Carbanak-Cybergang hätte sich Griechenland – ganz legal – von ausländischen Banken 900 Milliarden an Steuerschulden reicher Reeder und sonstiger einheimischer Ganoven zurückgehackt. Man sei saniert. Aus Diskretionsgründen würde ich für etwa drei Jahre ein wenig isoliert.
Jetzt sitze ich auf einem einsamen Felsen namens Charybdis im Mittelmeer. Bei mir nur einige schiffbrüchige Bootsflüchtlinge, die sich hierher hatten retten können. Sie basteln an einem Floß aus Plastikmüll und Treibholz – und wollen mich mitnehmen. Ob aus Freundlichkeit oder als Proviant wird die nächste Ausgabe dieser Zeitschrift weisen…
Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur