Bitte nicht enttäuscht sein: Ansonsten stehen an dieser Stelle meine bekannt-schrullig-launigen Phantastereien mit begrenztem Wahrheitsgehalt. Diesmal folgt ein anderer Text, den ich veröffentlichen muss, um eine Chance auf die hundert Euro Preisgeld beim oben benannten Contest zu haben. Ich brauch’ sie bitter nötig. [Vorabdruck aus Politik & Kultur, 3/2016]
Antizyklisch scheint sich die Natur zur Politik in unserer Bundesrepublik zu verhalten: Während es in der Frischluft allenthalben grünt und blüht, legt sich bräunlicher Mental-Wüstensand über Landesparlamente und in Ritzen und Winkel des Bundestages. Im Vorfeld gefettet durch dumpfe Pegida-Massenaufmärsche, befeuert durch Fremdenfeindlichkeit, Angst ums eigene Hab und Gut, erzielte die sogenannte „Alternative für Deutschland“ (AfD) numerisch bedrohliche Wahlerfolge in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Hochrechnungen für den Bund lassen gefährlich Zweistelliges erwarten.
Bedrohlich auch für die Künste, für die Kultur, die stark ins Zentrum des AfD- Parteiprogramm-Entwurfes rückt. In Sachsen-Anhalt beklagt die Partei „fehlenden Mut zur deutschen Leitkultur“ und setzt sich für mehr deutsche Stücke an den Bühnen des Landes ein. Pfitzner statt Schostakowitsch, Hinterseer statt Sinatra: Wörtlich heißt es im kulturpolitischen Wahlprogramm der AfD: „Der fehlende Mut zur deutschen Leitkultur schwächt den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“
Einige weitere Beispiele aus den einer solchen „deutschen Leitkultur“ verpflichteten Knorz- und Knarz-Leitlinien der partiell bereits eroberten Bundesländer:
„Auf Rechtsnormen und Eigenheiten anderer Kulturkreise ist keine Rücksicht zu nehmen. Der Respekt vor deutscher Kultur gehört zur aktiven Integrationsbereitschaft. Das Ende der deutschen und europäischen Kultur ist besiegelt, wenn der Zustrom von Hunderten Millionen Armutsflüchtlingen nicht gestoppt wird. Der historische Blick auf die jahrhundertelange Entwicklung der einzigartigen Substanz an Kultur wird durch eine einseitige Konzentration auf zwölf Unglücksjahre unserer Geschichte verstellt. Ethnisch-kulturelle Identitäten sind bei allen Menschen zu achten, ebenso die geschlechtlichen Identitäten, wohingegen lebensfremde Gesellschaftsexperimente, welche einen neuen geschlechtsneutralen Menschen schaffen wollen, abzulehnen sind. Ethno-kulturelle Parallelgesellschaften sind durch geeignete Maßnahmen zu entflechten, aufzulösen und zu verhindern. Identitätsstiftende Kulturpflege gibt es nicht zum Nulltarif. Insofern ist es eine Pflicht von Orchestern, Museen und Theatern, einen positiven Bezug zur eigenen Heimat fördern zu müssen. Im Besonderen sollen die Bühnen … neben den großen klassischen internationalen Werken stets auch klassische deutsche Stücke spielen und sie so inszenieren, dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen. Kulturelle Grundlage Deutschlands wird von einer Völkerwanderung unter missbräuchlicher Berufung auf das Asylgrundrecht zertrümmert.“
Teils noch viel gröber dröhnen die völkischen und ökonomischen Fixierungen im Entwurf zum Leitprogramm einer fürchterlichen Alternative für Deutschland:
„Im Inland tritt die AfD allen Tendenzen strikt entgegen, die deutsche Sprache auf Behörden, in universitären Studiengängen und in der Binnenkommunikation von Firmen im Sinne einer falsch verstandenen „Internationalisierung“ durch das Englische zu ersetzen oder zu „gendern“. Politisch korrekte Sprachvorgaben lehnen wir ab. Die AfD will den Einfluss der Parteien auf das Kulturleben zurückdrängen, gemeinnützige private Kulturstiftungen und bürgerschaftliche Kulturinitiativen stärken und die Kulturpolitik generell an fachlichen Qualitätskriterien und ökonomischer Vernunft anstatt an politischen Opportunitäten ausrichten. Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst. Kulturpolitik im engeren Sinn soll weiterhin im Kompetenzbereich der Länder verbleiben. Wir halten ein gewisses Minimum an staatlichen Kultursubventionen für unumgänglich, die jedoch an die selbst erwirtschafteten Einnahmen der Kulturbetriebe zu koppeln sind.“
Eine Fülle weiterer reaktionärer, teils ausgesprochen dämlicher, plump populistischer Phantastereien sind dem aktuellen Programmentwurf im Netz zu entnehmen.
Insbesondere die Diffamierung des Islam als Ideologie, die mäßig kaschierte Verteufelung von Schwulen und Lesben, die Beschneidung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder die Kopplung der schulischen und universitären Bildung an ökonomische Bedürfnisse widersprechen der selbstgewählten Leitphrase, man sei dem „humboldtschen Bildungsideal“ verpflichtet – und wirken teils grundgesetzwidrig.
Noch vor zwei, drei Jahren hätte man eine derartige Programmatik als Ergebnis einer steinzeitlich bedingt inoperablen Mental-Phimose abgetan. Brennende Flüchtlingsheime, der „Sprich deutsch“-Zwischenruf wider einen iranischen Interpreten bei einem Konzert in Köln oder die Erdogan-like Dauer-Diffamierung unserer „Lügenpresse“ lassen befürchten, dass als final wertendes Adjektiv für unsere Künste der Begriff „entartet“ bald wieder salonfähig wird.
Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur