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Rettet Bayern: Theo Geißler. Foto: Hufner
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Kurz-Schluss – Wie ich einmal versuchte, als Influencer im Verbund mit der internationalen Medienlandschaft, die Moral der Welt zu verbessern

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„In medias res“ – damit meinten z. B. olle Philosophen früher schlicht: zur Sache. Seit aus der Mitte, dem Zentrum, gewissermaßen die alldefinierenden „Medien“ geworden sind, heißt es, auch Tinder sei Dank, eher „Zur Sache, Schätzchen“. Eine irritierende Mischung aus Trivialität und Unzuverlässigkeit überwabert unsere sogenannte Informationsgesellschaft. Und angesichts von Fake News und „Lügen-Presse“ wird der Grundsatz „Das Sichere ist das Unsichere“ immer stärker zur gesellschaftlichen Grundhaltung, verbunden mit einer Verwilderung scheinbar überkommener gesellschaftlicher Sitten und moralischer Grundsätze.

Was Wunder, wenn die graubärtige Loge der sogenannten Altväter des Club of Rome, im Kyffhäuserkreis ansässig – bei einem dynamischen Einflussnehmer und Situations-Konstrukteur Rettung sucht – gegen geringes Gehalt – bei mir natürlich.

Seit meinen kulturintensiven und meinungsstarken Facebook-Kommentaren in Sachen Echo, Nazis, Frauenhasser, Kollegah und Farid Bang unter offener namentlicher Benennung heldenhafter Kulturverfechter, die sich entschlossen haben, nachdem das Kind im Brunnen ersoffen ist, sich aus dem sogenannten „Ethik-Beirat“ des Bundesverbandes der Musikindustrie zu absentieren, danke ich für den Eingang mehrerer derartiger ehrenvoller Angebote.

Da will mich ein Herr Jongen von der AfD als Hochdeutsch-Coach für sächselnde Stadträte engagieren. Die Freien Wähler bieten mir 500 Euro, wenn ich – um seine mediale Wirksamkeit zu mindern, dem Grünen Anton Hofreiter heimlich die blonde Matte stutze oder stutzen lasse. Der Mossad lädt mich zu einer zweijährigen Schulung in den Fächern „Tarnen und Täuschen und Töten“ ein. RTL, dessen hundertprozentige Tochter VOX, der offensichtlich redaktionsfreie Echo-Sender ist, offeriert mir ein Sitzungsgeld von 800 Euro, wenn ich als Stellvertreter des amtierenden Vorsitzenden Mitglied des Fernsehrates würde. Die Deutsche Welle bietet für den gleichen Job unter gleicher Leitung immerhin  noch ein Mittagessen. Die CSU – angeblich eine Idee des frischen Ministerpräsidenten Söder persönlich – schließlich will mich mit einer Unterstützungs-Summe von zwei Millionen Euro zur Erforschung der australischen Quallenwelt ganz lang und weit wegschicken. Und die SPD will mich zur Style-Beraterin ihrer gewöhnlich zerzausten neuen Vorsitzenden küren.

Etwas weniger attraktiv: Beim Deutschen Kulturrat könnte ich immerhin eine zweite Karriere als FAX-Bediener starten. Der Musikrat bietet mir eine Chance als Notenwart beim Bundesjugendjazzorchester. Soweit einige Beispiele, die ich noch im Genre „halbwegs seriös“ anzusiedeln bereit wäre. Denn meine mediale Präsenz und Kompetenz findet, wie oben schon ausgewiesen, in den wirklich wichtigen und zukunftsträchtigen gesellschaftlichen Kreisen Anerkennung. Ich befinde mich offensichtlich auf dem Weg zum Influencer und entscheide mich selbstverständlich für das Altväter-Angebot.

Bekannt als tiefschürfender Ursachenforscher werfe ich einen Blick zunächst auf die konventionellen Medien der umliegenden Staaten: beginnend mit Berlusconi-Italien samt Langzeit-Folgen, Ungarns Beton-Funk, Polens Demagogen-Sender, einer zeitweisen Abschaffung von Griechenlands Öffentlich-Rechtlichen, gerade noch mal ausgebremst in der braven Schweiz: dennoch desaströs. Aktuell bräunliche Dominanz in Österreich im Stechschritt-Anmarsch. Und die BBC meldet gar fakenewsmäßig einen Atomkrieg.

Dass es – „in medias res“ – so nicht weitergehen konnte – leuchtete gottlob nicht nur den Altvätern ein. Eine Addition mehrerer Skandale schien das angemessene Mittel der Wahl. Jetzt kann ich es ja gestehen: Zunächst schmuggelte ich – nicht zuletzt dank kräftiger Streaming-Manipulationen – die doofen Battle-Rap-Spacken Kollegah und Farid Bang in den Echo-Sumpf. Immerhin ein mittlerer Aufschrei unter Rest-Intelligenzlern. Als nachdenkenswertes Interludium bewog ich in Konstanz Regisseur Serdar Somuncu zur Inszenierung von George Taboris „Mein Kampf“ am Stadttheater. Wer eine Hakenkreuzbinde trug, durfte umsonst rein. Das nutzte offensichtlich nur eine sehr kleine radikale Minderheit. Ein Hoffnungsschimmer im Auge des Turbokapitalhurrikans?

Zwecks Diskreditierung des Internets ließ ich – dank des Einflusses etlicher Graubärte aus Bankerkreisen – ein paar Millionen Facebookprofile aufkaufen und verhalf damit dem grenzdebilen Donald Trump zur amerikanischen Präsidentschaft. Jetzt hält er es für seinen Triumph, Nordkoreas Kim Jong-un vom Atomkrieg abgehalten zu haben. Da wird er sich noch wundern, wenn die angeblichen BBC-Fake News zur Realität geraten. Die Briten haben schon immer den zuverlässigsten Rundfunk produziert.

Fein, dass in dieser Ausgabe unseres Intelligenzblattes mit Ulrich Wilhelm der ARD-Vorsitzende und Intendant des Bayerischen Rundfunks in einem Leitartikel „wichtige Weichenstellungen“  für die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Bewusstseinsformer definiert: intelligentere Vorabend-Krimis, anspruchsvollere Quizshows und mehr Berichte über Volkssport zur Körperertüchtigung. Vergessen hat er den Hinweis auf verscheuerte UKW-Sendeantennen, die möglicherweise den NDR und den MDR auf diesen Frequenzen demnächst verstummen lassen. Aber wir haben ja – schon fast flächendeckend – DAB, falls Sie der Industrie schon den Gefallen getan haben, ein entsprechendes Empfangsgerät käuflich zu erwerben.
Als zuverlässiger Influencer und Hilfs-Nostradamus darf ich Ihnen allerdings empfehlen, sich recht bald einen soliden Bunker – am besten im strammen Kyffhäuser-Fels – anzulegen…

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

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