Jetzt, da Europa den Bach runtergeht und ich meiner clandestinen Funktion als »Regional-Manipulateur« in diversen Mitglieds- und Problemstaaten enthoben bin, kann ich Ihnen ja kurz mitteilen, weshalb Sie so lange nichts von mir gehört haben. Meine Arbeit war ebenso hart wie vergeblich. Zunächst der Versuch, diversen osteuropäischen Ländern die Aufnahme Vertriebener schmackhaft zu machen: [Vorab aus Politik & Kultur 2017/06]
Erstmal schien die kostenlose Vergabe von 5.000 ohnedies schwer verkäuflichen Porsche Cayenne Diesel an die diversen einflussreichen Regierungsmitglieder und ihre Familien in Polen, Ungarn und Tschechien – gebunden an die Auflage, pro PS hundert sogenannte Flüchtlinge aufzunehmen, recht erfolgreich – zumindest, was die verbalen Zusagen betraf. Als dann der Dieselskandal so richtig hochkochte, forderten meine ehemaligen Politfreunde durch die Bank den Umtausch in Benzin- oder gar Elektromodelle. Woran selbstverständlich nicht zu denken war. Im Vorfeld konnten die Porscheaktien zwar kurzfristig noch einen kleinen Sprung nach oben machen, die politischen Grenzmauern blieben am Ende des Tages geschlossen.
Nächster Rückschlag: Der Brexit ist, wie jeder weiß, der Einstieg ins Ende der europäischen Idee, wobei weniger die Idee als die wirtschaftlichen Folgen von wirklichem Belang sind. Mein Fehler war vielleicht, dass ich nicht mit der Lame Duck und Noch-Premierministerin Theresa May verhandelte, sondern mit ihrem dynamisch wirkenden Außenminister Alexander Boris de Pfeffel Johnson. Leider merkte ich zu spät, dass dieser Typ gebürtiger Amerikaner und wirklich blond ist. Er forderte »unter der Hand« die Heimkehr der Republik Irland ins United Kingdom – verbunden mit einem fetten Nachlass der Schulden Englands bei der EU. Weil ich Geld in solchen Fällen für kein Problem halte, setzte ich alle Hebel in Bewegung, Eire dank Steuerschrauben wirtschaftlich zu ruinieren. Bis aus Dublin auf glaubwürdigen Geheimdienstwegen die Ankündigung kam, Irland könne sein geheimes Atomwaffenpotenzial in Monatsfrist verdoppeln. Johnson plädierte bei der zweiten Flasche Scotch (!) zwar noch für einen Präventivschlag, ging nach der dritten Flasche ins Bett und war für mich wochenlang nicht mehr erreichbar.
Die dritte Pleite: Schauplatz Istanbul. Dort schießt bei einer Bauzeit von drei Jahren einer der weltgrößten Flughäfen dank kraftvoller Impulse von Präsident Recep Tayyip Erdoğan höchst planmäßig aus dem Boden. Was liegt näher, als zur Auffrischung der deutsch-türkischen Freundschaft – verbunden mit ein paar Bitten in Sachen inhaftierter Bundesbürger – ein wirklich aufwendiges Renommierprojekt in die Hände türkischer Ingenieure und Firmen zu vergeben. Was läge da näher, als eine Rekonstruktion der Berliner Flughafenruine namens BER. Dank stets gepflegten Waffenhandels sind meine Kontakte bis zum Vorzimmer-Eunuchen des Präsidenten ungebrochen prima. Ich signalisierte ein Auftragsvolumen von 40 Milliarden Euro. Wenige Tage später traf eine 90-köpfige Delegation türkischer Baufirmenbosse und Ingenieure samt Familien in Berlin ein. Während der Besichtigung der Bauruine fiel mir auf, dass vor allem die Techniker mit ihren Fingern auf Rohre, Wände und Böden deuteten, oft in schallendes Gelächter ausbrachen. Bei den Abschlussverhandlungen mit den Firmenbossen kam dann die kalte Dusche. Mit den zugesagten 40 Milliarden seien gerade mal die persönlichen Aufwendungen und erste Planungsstufen gedeckt. Allenfalls noch der Abriss der bisherigen sogenannten Bauten. Insgesamt müsse schon das Zehnfache fließen, um gerade mal zurechtzukommen. Ende der Gespräche.
Und – kurzgefasst der letzte Fehlversuch: Um in Österreich einen weiteren Rechtsrutsch zu verhindern und die Sozialdemokraten an der Macht zu halten, sollte ich mit ausdrücklicher Zustimmung der Kanzlerin versuchen, Bayern an Österreich anzugliedern – mit einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten. Die Abfuhr war harsch: Noch sei Bayern ja recht proper. Aber man setze doch viel zu stark auf veraltete Technologien. Düsenflieger, Autos, sonstige Umweltschädlinge. Außerdem wäre es unbezahlbar, den Bayern, speziell ihren Kindern, die österreichische Sprache beizubringen. Finito.
Ich war in existenzieller Bedrängnis schon so weit, dem BMI anzudienen, die AfD zu unterwandern, erntete blanken Spott als Totalversager. Nach vier Stunden Wartens überbrachte mir eine Praktikantin schließlich ein Blatt mit einem befristeten übel dotierten Auftrag: Ich solle mich um den Deutschen Taubenzüchter-Verein (DTV) kümmern. Gerade Brieftauben seien ja ein Kulturgut und für Kultur hätte ich mich doch auch immer interessiert (Werch ein Illtum). Der Verband hielte demnächst seine Generalversammlung ab und litte unter zerstrittenen Sektionen.
Im Tagungsort, dem Sitzungsraum der Hessischen Landesvertretung in Berlin, herrschte tatsächlich aggressives Kampfgebrüll. Der Präsident des Deutschen Taubenmetzger-Verbandes (TmV) beschimpfte gerade den Präsidenten des Deutschen Brieftauben-Verbandes (DBV) als taubes Weichei, weil er sich auf die Seite der Deutschen Stadttauben-Schützer (DSS) geschlagen hätte. Das sei eine Kulturschande. Woraufhin der DBV-Präsident konterte: Mit Mördern rede er nicht. Still in der zweiten Reihe saß eine edel gekleidete Mittvierzigerin, still, aber lächelnd. Ich setzte mich zu ihr und fragte sie nach ihrer Funktion. Es handelte sich um die Präsidentin des Deutschen Friedenstauben-Züchtervereins (DFtZV). »Das ist ja wirklich toll und sehr edel. Aber können Sie denn ihre Zucht angesichts der seltenen friedlichen Anlässe überhaupt vernünftig steuern?« flüsterte ich. »Kein Problem«, war die Antwort, »was übrig bleibt, verkaufen wir an den TmV. Super Deal.« Fluchtartig verließ ich den Saal und orderte von meinem letzten Geld ein One-Way-Ticket nach Tristan da Cunha.
Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur