Das Kapitol ist abgebrannt. Noch regnet Asche auf die verkohlten Gebäudeskelette, nicht einmal das Orchester hat sich zurückgewagt. So muss Annio selbst in die Cembalotasten greifen, um den zweiten Akt in Gang zu bringen. Zu seiner Arie rückt dann wenigstens eine Kammerbesetzung an – ein intimer, stimmiger Moment in dieser Neuproduktion von Mozarts „Clemenza di Tito“ an der Bayerischen Staatsoper.
Diese von Angela Browers auch vokal fein durchgestaltete Passage ebnete den Weg für eine nach der Pause zumindest streckenweise in tiefere Ausdrucksbereiche sich vortastende szenische Deutung. Vielleicht musste der schicke, den Opernraum auf der Bühne fortsetzende klassizistische Senatssaal der Brandstiftung zum Opfer fallen, um Platz für eine solche Intensivierung zu schaffen.
Denn im ersten Akt hatte Regisseur Jan Bosse sich weitgehend darauf beschränkt, die Sänger auf den beleuchtbaren Stufen in vorhersehbarer Personenregie agieren zu lassen, begleitet von dekorativ nichtssagenden Projektionen in Überlebensgröße. Kleinere ironisierende Akzente lockerten die Statik bisweilen auf: Publio (Tareq Nazmi) als finsterer, die Chöre selbstherrlich dirigierender Zeremonienmeister, Vitellia als knallgelbe Bonbonniere mit Turmfrisur. Sesto – mehr Muttersöhnchen als feuriger Liebhaber – schlüpft ihr nur allzu gerne unter den riesenhaften Reifrock und löst damit immerhin erotische Erregungskoloraturen bei der spröden Angebeteten aus.
Die Chance, in diesem ersten Akt die Beziehungskonstellationen, die Liebes-, Freundschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse kenntlich zu machen, verschenkt Bosse aber weitgehend. Dass Titus auf seinem Thron hinter dem zentralen Vorhang eine heimliche Dauerpräsenz entfaltet, bekommt kaum szenische Relevanz. So bleiben die im zweiten Akt sich zuspitzenden Konflikte vage, auch wenn nun darstellerisch besser durchgearbeitete und somit packendere solistische Momente gelingen.
Da verzeiht man Kristine Opolais als immer wieder die klassische Gesangslinie verlassende und so auf Opernheroinen des 19. Jahrhunderts vorausweisende Vitellia manche Schärfe und Intonationstrübung, hört bei Sesto über Tara Erraughts nicht immer ausreichend fokussiertes Vibrato hinweg. Wie der bravouröse Markus Schön in der „Parto“-Arie im ersten Akt an der Bassettklarinette, so saß auch die nicht minder fabelhafte Martina Beck mit ihrem Bassetthorn in Vitellias großer Arie am Bühnenrand, eine sinnfällige Einbeziehung von Mozarts instrumentalem Theater in die Szenerie.
Kirill Petrenko war mit seinem aus dem Graben stark hochgefahrenen Staatsorchester hierbei buchstäblich auf Augenhöhe mit den Sängerinnen. Seine Fähigkeit, bis in die feinsten Verzierungsverzögerungen hinein mit ihnen zu atmen, machte ebenso staunen wie der schlanke, nur anfangs etwas neutrale, dann aber mal die gleißende Kälte der Macht, mal die Verletzlichkeit der Seelen spiegelnde Instrumentalklang. Ein kammermusikalisches, in den Chorpassagen glänzend gesteigertes Kabinettstück, das sich gesanglich Angela Brouwers als Annio und mit leichten Abstrichen auch Hanna-Elisabeth Müller als Servilia am besten zu eigen machten.
Toby Spence war in den langen Rezitativpassagen (in beiseite gesprochenen Passagen und bei den Accompagnati mit Hammerklavier statt Cembalo) ein aus baritonaler Färbung heraus gut charakterisierender Titus, hatte aber in der Höhe zunehmend Probleme und erlebte dann in den Koloraturen des „Se all'imperio“ ein mittleres Desaster. Staunenswert, wie er sich für das Finale wieder sammelte, um dann nach getaner Mildtätigkeit alleine den Vorhang hinter sich zu und alle Fragen offen zu halten.
Die Bayerische Staatsoper hat, das bleibt nach dieser szenisch nur selten zwingenden Produktion festzuhalten, mit seinem Generalmusikdirektor einen Mozartdirigenten von Weltklasse, das passende Ensemble muss Petrenko sich noch weiter formen.