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Leichtes Kribbeln im Tabubereich – die „musikFabrik“ mit Schönberg und Poppe

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Starke Väter spalten die Geister. Wo die Verehrung wächst, ballt sich insgeheim die Faust. Klar sind es die Jungen, die mit ihren hochfliegenden Plänen im Kopf die Überväter lieber los haben wollen und die Halteseile kappen. So schon als die Avantgarde der Tonkunst vor einem halben Jahrhundert neue Standards setzte. Einer ihrer großen Häuptlinge erklärte Schönberg kurzerhand für „tot“. Nun sind es die Enkel, die den Fall neu aufrollen. Botschaft: Im Zweifel für den Angeklagten!

Zum Beispiel Benjamin Kobler. Für seinen Einstand als neues Mitglied beim nordrheinwestfälischen Landesensemble „musikFabrik“ hatte sich der Pianist nichts Spektakuläres vorgenommen, kein virtuoses Renommierstück, nichts sanktioniert Konstruktivistisches, bewährt Avantgardistisches. Eine leise Musik vielmehr, eine, die die Überwindung der Tradition als heftige Liebeserklärung zu ihr artikuliert: Schönbergs „Sechs kleine Klavierstücke“ opus 19 mit der angehängten Trauermusik für Gustav Mahler. „Leicht, zart“. Die Überschrift der Nummer 1 nahm Kobler beim Wort. Ein Vortrag insgesamt wie aus dem Geist Debussys. Berührend. Das Publikum schwankend zwischen andächtiger Stille und auf den Klappsesseln rutschender Verunsicherung. Irritierte Protesthuster noch in die Schlussakkorde hinein. Das Bild vom Vater der neuen Musik kollidierte da ganz offensichtlich mit der Wirklichkeit wie sie Kobler sich dachte und vor aller Ohren ausbreitete.

Beim folgenden Programmpunkt war die Welt im Klaus von Bismarck-Saal des WDR dann wieder in Ordnung. Fürs erste zumindest. Angekündigt die Uraufführung für zwei Schlagzeuger, zwei Keyboarder als Gemeinschaftsarbeit zweier Komponisten. „Tonband“ nennen Enno Poppe und Wolfgang Heiniger eine Komposition, in der die beiden Pianisten zwar einen exakt notierten Tonsatz auszuführen haben, ohne dass dieser aber so klingt wie notiert. Vielmehr lösen die Keyboards eine Live-Elektronik aus, die die Klänge eines ausgetüftelten Percussion-Setups anreichern, überlagern, konterkarieren, illustrieren.

Mit Wonne stürzten sich Kobler und Löffler, die Herren an den Tasteninstrumenten, in eine mit heftigem Augenzwinkern angerichtete Klangmelange. Zumal Ulrich Löffler, letztes noch aktives Gründungsmitglied des Ensembles, schwamm in dieser mäandernden Arbeit wie der Fisch im Rockmusikfruchtwasser. Soviel Lust, soviel Spielfreude war selten. Die Funken, die die Interpreten samt zweier ‚tanzender’ Perkussionisten als Augenmusik auf der Bühne entfachten, sprangen ins Publikum und – schieden erneut die Geister. Im Zickzackkurs wie bei der Wüsten-Rally die Ecken der jüngeren Musikgeschichte abgefahren: Fluxus, Elektronik, Rock, Jazz. Von allem etwas, in allem aber stets neue Musik: Notiert, komponiert. Eine Arbeit, die sich zugleich nicht scheute, ihr Redundantes herzuzeigen. Mit der Folge, dass sich mancher im Publikum dann doch wieder fragte: Ein Jux?

Die Frage war kaum gestellt, als das Wechselbad auch schon in die nächste Runde ging. In diesem Fall: von opus 19 zurück zu Schönbergs noch tonalen, in den Gestus der Spätromantik gefassten „Sechs Orchesterliedern“ opus 8. Hier (Nr. 1,2,5) im Arrangement für Ensemble von Hanns Eisler und Erwin Stein aus den Jahren 1920/21 und (Nr. 3,4,6) von Klaus Simon aus jüngster Zeit. Unterm espressivo-Dirigat von Stefan Asbury vergaß man für einen schönen Augenblick, dass hier tatsächlich ein Neue Musik-Ensemble am Werk war – so sehr ließen sich die Musiker und eine immer noch hochpräsente Rosemary Hardy von einem mahlerischen Orchestersatz forttreiben, womit (jedenfalls soweit sich Rezensent erinnern kann) eine ganz neue Ensemble-Facette aufgetan war: Ein romantischer Konzertabend – mit der musikFabrik. Leichtes Kribbeln im unteren Tabubereich. Mehr davon, schließlich ist auch in der neuen Musik der eigene Schatten zum Überspringen freigegeben.

Dass mit Enno Poppes „Scherben“ in jetzt gespielter Letztversion ein eher sperrig wirkendes Schlussstück für großes Bläserensemble folgte, eine Komposition, die sich vielleicht allzusehr als Erfüllungsgehilfe ihres strengen Bauplans (121 Formteile zu je 5 Sekunden) verstand – solches fiel dann nicht weiter ins Gewicht. Die wichtigere Frage, wie diese zwei neuen zu den beiden älteren Arbeiten neuer Musik standen, hatte sich dank des gleichmäßig auf alle Programmteile verteilten, hingebungsvollen Einsatzes der musikFabrikler von ganz allein beantwortet: Versenkung ins Spiel. In ein Tun, dass der Menschwerdung des Menschen bekanntlich höchst zuträglich sein soll. In Köln ward es hörbar.

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