Vor zwei Jahren präsentierte das Stadttheater Gießen in seiner beachtlichen Reihe von Opern-Wiederentdeckungen „Lo Schiavo“ des Brasilianers Antônio Carlos Gomes, jetzt war dessen „Fosca“ an der Reihe. Der Vierakter des Verdi-Zeitgenossen, 1873 in der Scala uraufgeführt, erfreute sich etliche Jahre eines recht ordentlichen Erfolges, geriet aber nach Gomes’ Tod, wie die meisten seiner Werke, schnell in Vergessenheit.
Die Gießener Inszenierung zeigte ein ungekämmt-struppiges Werk voller emotional zugespitzter dramatischer Passagen und oft erstaunlich klangschöner, nie nur retardierender, sondern stets auf der Lauer liegender Lyrik.
Das Libretto ist eine erstaunliche Anhäufung großer Gefühle, hastig-brüchiger Handlungsstränge und tiefer Plausibilitätslücken, über die das Publikum behutsam hinweg geleitet werden muss. Diese Aufgabe übernimmt das geschmeidig agierende Philharmonische Orchester Gießen unter der Leitung von Florian Ziemen, der auch an der Partitur manches an umsichtiger Rekonstruktions- und Einrichtungs-Arbeit geleistet hat. Er hat nicht das himmelschreiende Pathos getilgt, mit dem Gomes emotionale Situationen pointiert, sondern spielt diese Qualitäten farbintensiv und zuweilen mit unüberhörbarer Lust an der maßvollen Übertreibung aus. Er glättet nichts, er unterstützt und fordert mannschafts- und werkdienlich.
Thomas Oliver Niehaus’ Inszenierung hat aus der emotionalen Halde des Librettos die Flucht nach vorn angetreten. Es geht um die Liebe der wilden Seeräuberschwester Fosca zu einem Gefangenen, der eine Andere liebt, während der Ex-Sklave und Piraten-Offizier Cambro die Fosca begehrt und allerlei unternimmt, sie zu erobern. Vor allem geht es also um erwiderte und nicht erwiderte Liebe, daher um Schmerz, Hass, Wahnsinn. Zur Publikumsführung hat Niehaus eine Figur erfunden, die „What I am“ (Sora Korkmaz) heißt. Weil Publikumserwartungen heute von eingedoster Pseudo-Authentizität mit geprägt sind, trägt sie Pop-Habit. Sie ist ständig auf der Bühne und nimmt sichtlich Anteil an Liebe und Schmerz der handelnden Personen.
Am Ende entleibt sich Fosca und das Gute siegt. Aber das Gute wird nicht allein von der Stadtgesellschaft Venedigs repräsentiert, es ist bei den Seeräubern zumindest genau so zu Hause, auch wenn die Piraten gelegentlich Venezianer entführen und Lösegeld erpressen. Weil in diesem ethischen Chaos eine klare Ordnung dringend nötig ist, sitzen alle in den gleichen Kirchenbänken, schauen zur gleichen Kanzel auf (wo mal der Piratenchef, mal Cambro, mal der Doge erscheint) und orientieren sich an den gleichen Leitlinien, die Lukas Nolls Bühnenbild markant aufzeigt.
Giuseppina Piunti als Fosca ist ständig entweder kurz vor oder schon mitten in einem Ausbruch von Raserei und Dramatik, sie meistert die kräftezehrende, expressive Partie eindrucksvoll und hat immer noch Raum für Nuancen und für Steigerungen. Maria Chulkova als ihre mädchenhafte Gegnerin Delia setzt eher lyrische Akzente, hat aber im Ernstfall auch keine Probleme, sich im Heroinen-Duett zu behaupten. Cambro, der Drahtzieher des Bösen, bekommt von Adrian Gans eine imposante baritonale Statur, gegen die der venezianische Gefangene Paolo etwas blass aussehen muss, was aber weniger an Thomas Piffka liegt als am Komponisten. Der hat sich auf die Seite der Freibeuter geschlagen.
Für das Schlusstableau verteilt „What I am“ Mikrofonständer. Die philharmonische Band im Graben rast. Auf der Bühne stürmen die Gefühle in den Himmel.
Weitere Termine: 9. Februar, 7., 22. März, 14., 27. April.