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Das hohe Paar der Mannheimer „Don Carlo“-Produktion: Jorge Lagunes und Roy Cornelius Smith. Foto: Hans Jörg Michel
Das hohe Paar der Mannheimer „Don Carlo“-Produktion: Jorge Lagunes und Roy Cornelius Smith. Foto: Hans Jörg Michel
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Liebe, Wunden und Wunder im Unrechtsstaat: Giuseppe Verdis „Don Carlo“ am Nationaltheater Mannheim

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In den meisten Arbeiten Verdis steht ein „transgenerationaler“ Konflikt im Zentrum – beginnend mit dem Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn in der frühen Oper „I due Foscari“ (Rom 1844). Die Linie setzte sich fort in der Komposition einer kruden Reduktion von Friedrich Schillers „Jungfrau von Orleans“ („Giovanna d’Arco“; Mailand 1845) und in den tödlichen Vater-Tochter-Konflikten der „Luisa Miller“ (Neapel 1849) oder „Rigoletto“ (Venedig 1851). Im Hintergrund von „La traviata“ (Venedig 1853) droht dann wieder eine autoritäre Vaterfigur, die den Sohn zur Familienraison und Anerkennung herrschender gesellschaftlicher Normen bringen will, sich dabei mit der Geliebten des Sohnes verhakt.

Und solch ein generationsbedingtes Desaster bildet auch den Auftakt von „La forza del destino“ bzw. das Zentrum der „Aida“ (Kairo 1871; dort zwischen der Titelheldin und ihrem Vater Amonasro). Vielleicht am drastischsten aber tritt der Konflikt zwischen den Generationen in „Don Carlo“ hervor: Hätte Sigmund Freud nicht die von Sophokles überlieferte Geschichte des Ödipus als Metapher für die Verstrickung der Generationen und eine archetypische Komplex-Genese gewählt, hätte sich ihm der Schillersche oder Verdische „Don Karlos“ angeboten.

Giuseppe Verdis Arbeit mit diesem Stoff durchlief auf dem Weg von Schillers Ideendrama zur Partitur für eine überlange Oper mehrere Stadien, aus denen sich die besonders intensive Befassung mit diesem Konfliktpotenzial ablesen lässt. Die Uraufführung der (vom Autor bereits etwas eingekürzten) fünfaktigen Fassung in französischer Sprache fand im März 1867 in Paris statt. Doch weithin durchgesetzt hat sich eine spätere vieraktige italienische Fassung (Mailand 1884). Auf diese griff auch die nun von Jens-Daniel Herzog inszenierte Produktion am Nationaltheater Mannheim zurück. Noch einmal geht es also um den spanischen Infanten Carlo, der in sehr jungen Jahren mit Elisabeth von Valois verlobt wurde und diese auch lieben gelernt hatte. Doch sein Vater, Philipp II., zum wiederholten Male Witwer, heiratet die französische Prinzessin aus politischem Kalkül selbst. So wurde aus den verliebt Verlobten auf keineswegs ‚natürliche‘ und vernünftige Weise Stiefmutter und Stiefsohn. Der Marquis von Posa interessiert Freund Carlo für den Freiheitskampf der Niederländer, um ihm damit über den Liebeskummer hinwegzuhelfen. Durch eine Intrige der königlichen Mätresse Eboli wird Königin Elisabeth verleumdet, Carlos provoziert ohne Sinn und Verstand. Er wird (mit tödlichen Folgen) der Inquisition ausgeliefert, der Marquis gemeuchelt.

In Mannheim zeigt Mathis Neidhardts wandlungsfähige Bühneninstallation zunächst einen hinter klassizistischen Säulen, gut bewacht aufgebahrten Staatsmann: Mit seiner Leiche und einem Zeitsprung gewährt der „große Kaisers“ Karl V. den modern geandteten Untertanen eine letzte Audienz. Der keineswegs nur ruhig-kontemplative, sondern unterschwellig bedrohliche Mönchsgesang rahmt das Defilee der Massen in der „Ruhmeshalle“ eines optisch nicht näher definierten autoritär-terroristischen Systems in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit den Accessoires – Uniformen, Waffen und Möblierungen – mischen sich Erinnerungen an die Franco-Diktatur mit Zitaten von Bildmomenten aus der letzten Phase des realen Sozialismus in Osteuropa bzw. aktuelleren asiatischen Lebenswelten. Eine nicht enden wollende Menschenschlange nimmt Abschied vom „geliebten Führer“. Die langsam vorrückende Kolonne ist bestückt mit „Volk“, wie es aus den Fernseh-Abendnachrichten vor Augen ist. In dies triste „öffentliche Leben“ platzt Don Carlo wie eine Operetten-Figur: in einem Kostüm des 16. Jahrhunderts und mit umgegürtetem Degen. Unverzüglich kommt er zur Sache und klagt von der Rampe aus dem Publikum sein Liebesleid – dass ihm der Vater die Braut weggeschnappt habe. Auch Freund Rodrigo wird, kaum ist er wie Commissario Colombo aufgetreten, Opfer dieser Klage.

Jens-Daniel Herzogs Inszenierung beginnt, den Vater-Sohn-Konflikt gradlinig zu nachzuzeichnen und durch viele geschickte kleine Regiezüge zu intensivieren. Der Marquis von Posa zaudert z.B. wirklich nicht lange, singt dem Infanten auf Abhilfe und beide beschwören innig-emphatisch (eben in den hohen Tönen des Risorgimento) Freundesliebe und -treue. Sie machen es vorzüglich – Roy Cornelius Smith und Jorge Lagunes erweisen sich stimmlich als das hohe Paar der Mannheimer „Don Carlo“-Produktion. Und wie Rodrigo die Prinzessin Eboli zu disziplinieren versucht, erscheint minutiös choreographiert – aber die Dame hat zunächst den höheren Trumpf in den Karten (Posa avancierte zwar zum persönlichen Berater Philipps, sie jedoch zu dessen Herzdame).

Nicht anders als der Kronprinz stolzieren auch Philipp II. und seine Gattin Elisabeth in Prunkgewändern ihrer „Originalzeit“ daher und verweisen damit auf eine Staatlichkeit, die ihre Legitimation und Kostümierung aus vergangener Größe bezieht. Doch bei den gelegentlich als Zaungäste der Macht auftauchenden „einfachen Leuten“ herrscht sichtlich Mangel und mäßige Begeisterung für den regierungsamtlichen Prunk. So ist nur konsequent, dass sich hinter der klassizistischen Fassade die Insignien eines Zweckbaus der 1960er Jahre melden: Auf Putz gelegte Stromleitungen, Feuerlöscher und Notbeleuchtung. Die Andeutung einer Besenkammer bietet sich als Ort des nächtlichen Stelldicheins an. Jens-Daniel Herzogs Inszenierung balanciert die Aufmerksamkeit für die Intrige der Prinzessin Eboli sorgfältig gegen die Fokussierung auf den Sohn-Vater-Konflikt aus. Sung-Heon Ha verleiht dem brutal machtbewussten Alten dabei souveräne Größe und eine profunde Stimme.

Gestützt auf die vielen guten bis hervorragenden Stimmen – unter denen die von Galina Shesterneva für die königliche Stiefmutter noch besonders hervorzuheben ist – und getragen von einem durch Alois Seidlmeier kompetent und umsichtig angeleiteten Orchester, hätte sich in Mannheim ein rundum zufriedenstellender, ja: durch Nachdenklichkeit beglückender Verdi-Abend ergeben können. Wenn sich nicht noch ein paar aufgesetzte Regie-Einfälle eingestellt hätten. Wie der: dass statt der um Gnade bittenden niederländischen Deputierten im II. Akt der Generalstab des Königs in Gänze beim Abendmahl liquidiert wird. Dieser Rollentausch macht weder in Bezug der von Schiller ins Visier genommenen Realgeschichte Sinn noch gar im Hinblick auf das Drama: ein Verfremdungseffekt als Überraschungscoup, der die völlige Unberechenbarkeit und Gewissenlosigkeit despotischer Systeme grell aufzucken lässt.

Ein Dutzend überraschender Genickschüsse also für sämtliche Paladine der Nr. 1. Von Zeit zu Zeit seh’ ich Gemetzel gern – gehöre also nicht zu den Feingeistern des Frankfurter Feuilletons, die blutarme Weihnachten wenigstens im öffentlich-rechtlichen Fernsehen fordern.* Das Theater braucht sich angesichts der fortgeschrittenen Sehgewohnheiten nicht zu scheuen, das, was in seinen Texten verhandelt und durch die historischen Subtexte aufgerufen wird, auch sichtbar zu machen. Auch wenn dies manche, die wegen des „rein musikalischen“ Genusses ins Opernhaus gehen, ein Graus ist. Aber wenigstens einen Rest dramaturgischer Plausibilität dürfen sich Gemetzel und Schrecken bewahren.

Zu den unsinnigen Zutaten, mit denen sich Herzogs im Ansatz grundordentliche und ironiefreie Regiearbeit aufhübscht und antörnt, gehört auch ein finaler Rollentausch. Am Ende ruft nicht die Stimme des toten Kaisers den Enkel zu sich, sondern – o Wunder über Wunder – der im Auftrag der Inquisition zu Tode gemarterte Rodrigo, der „beste Freund.“ Wie tot hatte er eine gute Viertelstunde über einem Stuhl gehangen mit einem Schandhut auf dem blutenden Kopf und einem Schild um den Hals „Viva la libertà!“

 

*Jan Wiele, Krümelmonster beim Leichenschmaus ... FAZ v. 19.12.2012: „Einmal muss Schluss sein mit dem Schrott des Gemetzels“, ereifert sich der Law-and-order-Mann, dessen Name wie stark sedierter Wille klingt und der so viel (nicht) will: „Ich will keine Leiche mehr zum Dessert. Ich will keine Kugelaustrittswinkelgespräche mehr hören und sehen. Ich will keine Blutbanderolen mehr, die durch mein Unterbewusstsein spuken“ Der Kämpfer für ein optisch gewaltfreies Dessert meint vermutlich das Unbewusste, das er sich sauber halten will. Wir empfehlen ihm schwäbische Kehrwochen.

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