Allianz Arena München: Zweitausend meist schwarz gekleidete ungarische Fans, Ultras, Faschos intonieren, singen, plärren enggedrängt ohne Masken: „Deutschland ist homosexuell“. Auch die gut elftausend deutschen Fußball-Liebhaber halten kaum Abstand, Stofffetzen hängen unterm Kinn. Bayerns Polit-Prominenz und auch die Polizei gucken zu. Im dänischen Parkstadion umarmen sich dreißigtausend, in der Budapester Puskas-Arena wenigstens fünfzigtausend Ball-Aficionados. Und demnächst dürfen im Londoner Wembley-Stadion (Pflicht-Songs: „Rule Britannia“, „God save the Queen“ und „You never walk alone“) mal gut sechzigtausend das Ansteckungspotenzial der Covid-Delta-Variante bei Anreise, Spiel und später im Pub testen, bevor sie in ihre Heimatländer zurückkehren. Jaja: Alles Pilotprojekte unter strenger wissenschaftlicher Begleitung. Chefarzt UEFA ordnet an, kassiert zum Beispiel von unseren Öffentlich-Rechtlichen, von reichen chinesischen und arabischen Werbepartnern und unseren sauberen Auto-Produzenten Zig-Millionen. Es schweigt die Politik in Deutschland und Europa.
Szenenwechsel – und den Fokus auf ein südliches Bundesland gerichtet, allerdings als „pars pro toto“: In Bayern gelten wegen der Seuche an Schulen für das Musizieren besonders strenge Beschränkungen. Heidi Speth ist Vorsitzende des Verbandes Bayerischer Schulmusiker (VBS). Das zu Ende gehende Schuljahr hat sie aus Sicht der Chöre und Orchester abgeschrieben. Die Formulierung im aktuellen Rahmenhygieneplan für die bayerischen Schulen ist genauso kurz wie eindeutig: „Singen sowie das Spielen auf Blasinstrumenten ist in Gruppen bis auf Weiteres nicht möglich.“ Lediglich einzeln dürfen Schülerinnen und Schüler im Blasinstrument oder Gesang unterrichtet werden – bei einem erhöhten Mindestabstand von 2,5 Metern. Angesichts auch zu erwartender viraler Bedrohungen ist Vorsicht die Mutter des Infektionsschutzes.
Es scheint die Sonne. Es scheinen die Inzidenzen zu sinken. Es scheint – und das betrifft natürlich nicht nur den Musikunterricht – angesichts einer schier unerträglichen Leichtigkeit des Seins den Kultusministern und den Ministerpräsidenten weitläufig entgangen zu sein, dass ein weiteres Schuljahr naht, Schulkinder und Jugendliche, da ungeimpft, sich in hohe Ansteckungsgefahr begeben und ganz sicher Doktor UEFA allenfalls ein paar Impfampullen für die eigenen Funktionäre besorgt. Seit anderthalb Jahren wird verbal an Luftfiltern gebastelt. Das Ergebnis nähert sich der fahrlässigen Körperverletzung durch unsere gewählte Volksvertretung. Das kann auch all die mühsam in einen beruflichen Alltag sich zurücktastenden Kulturschaffenden nicht kalt lassen: Wenn sich musische Erziehung auf die digitalen Wüsteneien von Netflix, Instagram, TikTok und Co. beschränkt, sind mentale und seelische Verwüstungen kommender Generationen wahrscheinlich. Man lässt sich mit dem Handy ruhig nieder, weil man, die Kopfhörer im Ohr, den vermutlich nicht mehr vorhandenen Gesang anderer sowieso nicht hören würde. Böse Menschen? Eher blöde?