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Luigi Nonos Politepos «Al gran sole carico d'amore» bei den Salzburger Festspielen

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Ein Fanal für soziale Gerechtigkeit und eine Hommage an die Mütter der Revolution: Das ist Luigi Nonos Riesenopus «Al gran sole carico d'amore», eines der Schlüsselwerke der ernsten Musik des 20. Jahrhunderts. Keine Oper im klassischen Sinne, sondern eine von Nono «Azione scenica» genannte Collage revolutionärer Texte von Karl Marx bis Che Guevara. Das äußerst selten aufgeführte Werk kam am Sonntag bei den Salzburger Festspielen heraus und wurde in der nicht ganz ausverkauften Felsenreitschule frenetisch bejubelt.

Nono setzt in «Al gran sole carico d'amore» («Unter der großen, von Liebe erfüllten Sonne») ganz auf die Extreme: Ohrenbetäubende Klangwellen durchbrausen den riesigen Saal, wenn der gigantische Orchesterapparat voll aufdreht. Alle Bläser sind vierfach besetzt, dazu jede Menge Streicher, elf Pauken, auf beide Seiten des Raumes verteilt, sowie weiteres Schlagwerk aller Art, darunter eine ganze Wand tönender Metallplatten.

Nicht zu vergessen natürlich der riesige Chor und nicht weniger als elf Solisten, darunter fünf Soprane, die ihre Stimmen in Schwindel erregende Tonhöhen emporschrauben. Außerdem mischt Nono elektronische Sphärenklänge vom Tonband in die Live-Musik. Dessen Originalklang musste für die Aufführung aufwendig rekonstruiert werden.

Dirigent Ingo Metzmacher, Spezialist für Zeitgenössisches und ein Vertrauter des 1990 verstorbenen Komponisten, organisiert die Klangmassen souverän. Und er entlockt den Wiener Philharmonikern und der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, die für dieses Ausnahmewerk alles geben, auch zarteste Klänge in den Randbereichen des Hörbaren.

Jürgen Flimm, Salzburger Festspielintendant auf Abruf, hatte sich in einem Interview gerühmt, das Revolutionsepos nur gegen Widerstände im Festspieldirektorium durchgesetzt zu haben. Um die «bittere Pille» auch dem konservativen Salzburger Publikum schmackhafter zu machen, verwandelte die britische Regisseurin Katie Michell das provokante Werk des überzeugten Kommunisten Nono in ein pittoresk anzusehendes Revolutions-Stillleben ohne Gegenwartsbezug.

Mitchell lässt Solisten und Chor weitgehend konzertant agieren und bebildert die Textfragmente mit Szenen aus dem privaten Leben der von Nono in den Mittelpunkt seiner Komposition gestellten Revolutionärinnen wie der Pariser Kommunardin Luise Michel oder Tania Bunke, die an der Seite von Ernesto «Che» Guevara den Kommunismus in Kuba aufbaute. Da werden, wie man sich Revolution eben so vorzustellen hat, bei Kerzenschein geheimnisvolle Briefe verbrannt, revolutionäre Schriften von Kette rauchenden Amazonen in altertümliche Schreibmaschinen gehackt, Pistolen unter Fußbodendielen hervorgekramt oder Mikrofilme in Puderdosen versteckt.

Eine Armada von Technikern filmt die von Schauspielerinnen dargebotenen Szenen auf offener Bühne und überträgt sie, verfremdet im Stil historischer Knisterstreifen, auf eine Großleinwand. Die gewaltige Komposition schrumpft phasenweise zur Filmmusik. «Bei Nono gibt es immer einen Rest von Utopie», sagte Metzmacher in einem Interview. In Mitchells Salzburger Revolutionsmuseum ist davon nicht mehr viel zu spüren.

 

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