Einer der wenigen Irrtümer des ansonsten so treffsicheren, begnadeten Kabarettisten Georg Kreisler dürfte sich in der Chansonzeile manifestieren: „Heute findet jede Zeitung größere Verbreitung durch Musikkritiker“. Einige wenige der meist noch auflagenstärkeren „seriösen“ Blätter leisten sich für dieses Ressort studierte festangestellte Fachkräfte. Meist werden die Klassik-Konzert- und Opern-Pressekarten großzügig auch bei immer noch recht auflagen- und ertragsstarken regionalen Print-Produkten in ein Volontariat gestreut, dessen Studienkompetenz von abgebrochener Tiermedizin bis Sozialwissenschaften, 41. Semester, reicht.
Oder es finden sich, beispielsweise unter den Lehrkräften der ortsansässigen Schulen, Musik-Freaks, die für zwölf Cent pro Druckzeile den kompletten Ring in Kyritz an der Knatter in einem knappen Zweispalter tiefenanalysieren. Gefragt ist eigentlich gar nicht mehr die qualifizierte Kritik, die gescheite Reflexion eines Werkes, sondern die Ankündigung mit Aufführungstermin, geschmeidiger Inhaltsangabe, aus dem Internet knapp zusammengeklittert. Und nach Möglichkeit die Nennung einiger „Big Names“, fast egal ob unter den Künstlern oder den Premierengästen.
An dieser Schwarzmalerei ist bedauerlicherweise einiges Wahre dran. Der galoppierenden technischen Entwicklung im Medienbereich hinken allerdings die meist flink zusammengeschusterten Aufbaustudiengänge der Musikhochschulen im trimedialen Bereich hinterher. Der am bunten Tisch entwickelte Redaktionsmix zum Beispiel bei den Öffentlich-Rechtlichen führt zu seltsamen Kompetenz-Verdrehungen: Der Kammermusik-Redakteur als Pop-Moderator, die Fachfrau für Kirchenmusik filmt Berghütten-Jodeln, weil es der Dienstplan gerade nicht anders erlaubt? Vielleicht eine prima Entwicklungshilfe zu einer Art musikalischem Studium Generale mit Computer-Technik-Master während der Arbeitszeit?
Muss sich jedwede Kultur-Kritik, -Analyse, -Betrachtung, der unter ökonomischem Zwang stehenden – und deshalb Oberflächen-Glättung benötigenden – „Entwicklungs-Geschwindigkeit“ alias sogenanntem technologischen Fortschritt anpassen? Im Verbund mit kompetenten Partnern in der Jugendbildung wie der Jeunesses Musicales und weiteren engagierten Verbänden stellen wir, sicherlich ein kleines aber strenges, bärbeißiges Medium, diese geistesfern geprägte Reihenfolge in Frage, halten eine Umkehrung für nötig. So bieten wir beispielsweise – neben einer Partnerschaft mit dem Reinhard Schulz-Preis für zeitgenössische Musikkritik oder der Kuratierung des JukeBoxx NewMusic Awards – gemeinsam mit der Jeunesses im Rahmen des von Jugendlichen konzipierten mu:v-Camps Musikjournalisten-Kurse. Diese stellen den Geist des Kurs-Mottos „Musik verbindet“ praxisbezogen ins Zentrum statt Annäherungen an Hit-Hype zu vermitteln. Die Ergebnisse unserer hochsommerlichen jüngsten Arbeitsphase finden Sie auf den Seiten 30 und 31 dieser Ausgabe. Ein Tropfen Wasser in der Wüste? Reicht manchmal für eine Blume.
- Wir sind Musik – vom Zwang der Freiheit
Ein persönlicher Aufruf an die Generation Y · Von Virginia Flohr - Vielsaitigkeit jenseits von Grenzen
Der Oud-Spieler Thabet Azzawi war Dozent im mu:v-Camp und wollte dort viel mehr vermitteln als nur richtige Noten - Vom Yogi geküsst
Erfahrungen beim Yoga-für-Musiker-Kurs während des mu:v-Camps