Aus einer guten Idee ist eine schöne Tradition gewachsen: regelmäßig hisst der Bayerische Hof, das Fünf-Sterne-Hotel an Münchens Promenadeplatz, für eine gute Woche die Flagge eines fremden Landes. Entsprechend gefärbt ist in diesem Zeitraum dann auch das Wellness-, Kulinarik- und Musikprogramm des Hauses. Nun wehte die Fahne Italiens am Mast der Luxusherberge. Was genau an Knetkuren und Pasta-Kreationen angeboten wurde, entzieht sich der Kenntnis des Autors, der ganz auf die Musik vom Stiefel fixiert war.
Neben ein paar noch zu entdeckenden Künstlern hatte man auch zwei Jazz-Ikonen nach München eingeladen: Ganz exklusiv kam die Pianistin Rita Marcotulli angereist. Ein paar Tage zuvor soll sie mit ihrem Pink Floyd-Tribut beim Jazzfrühling in Kempten künstlerisch gescheitert sein, doch im Nightclub des Bayerischen Hofs triumphierte sie musikalisch – mit einem völlig anderen Programm, vor beschämender Kulisse. Mit dem manchmal etwas zu lauten, aber sonst umwerfend munteren Akkordeonisten Luciano Biondini und dem göttlichen Sopransaxofonisten Javier Girotto (einem Argentinier in Italien), spielte sie eine mal berührende, mal mitreißende Musik, in der sich mediterraner Schmelz in kühner Melodik auflöste, in der Tango-Impressionen sich mit imaginärer Folklore vermischten und in der die hohe Kunst der Stimmführung zelebriert wurde.
Gestört wurde der Hör-Genuss nur von einem uneinsichtigen Ehepaar, das leiseste Stellen mit wildem Strohhalm-Gestocher im Cocktail-Eis kommentierte. Leider ist so was kein Einzelfall im Nightclub: meist sind es die unsensiblen Dauerquatscher, im Regelfall Hotelgäste, die den zuhörenden Teil des Publikums auf die Palme bringen.
Ein paar Tage später war dann der Trompeter Enrico Rava in der „nördlichsten Stadt Italiens“ zu Gast. Deutlich über siebzig ist er mittlerweile. Aber der Frauenschwarm geht glatt für Ende fünfzig, Anfang sechzig durch. Er scheint es noch einmal wissen wollen: mit jungen Begleitern wie dem Posaunisten Gianluca Petrella und dem Pianisten Giovanni Guidi gab er sich im Bayerischen Hof meist vollkommen unsentimental und machte differenziert Dampf. Wie er seine Stücke gestaltete und ihre Struktur dann aufbrach, wie er mit Anfeuerungsgesten das Beste aus seinen Mitmusikern herausholte – das verblüffte ein ums andere Mal.
Rava vermittelt unwiderstehlich zwischen klassischem Jazz, italienischem Melos und gelegentlich aufrührerischem Geist. Schön wäre es, wenn die Energie seines Münchner Konzerts auch auf der im September erscheinenden CD aufflackert, deren Programm Häuptling Silberlocke mit seinem „Tribe“ getauften Quintett im Nightclub vorstellte.