Wenn Walther von Stolzing auf der Festwiese sein Preislied anstimmt, legen erst einige aufgeschlossenere Meister ihre historischen Gewänder ab, dann wirft sukzessive das gesamte Volk die historisierende Kostümpracht von pastellenen Reifröcken und Hüten in die Luft und zu Boden. Sachs als Spruchsprecher der Meister hatte ein derartiges Kostüm gar nicht erst angelegt, sondern gleich seinen grauen Anzug mit offenem Hemdkragen vorgezogen: das von Walter exemplifizierte „Kunstwerk der Zukunft“ schafft Menschen wie Du und Ich.
Dies ist die szenisch diskussionswürdige Antwort der von Gustav Kuhn gegründeten und geleiteten Tiroler Festspiele Erl auf die jüngere politische „Meistersinger“-Diskussion, wie sie etwa in Katharina Wagners Bayreuther Inszenierung manifestiert wird. Gleichwohl schlägt sich die jüngere Rezeptionsgeschichte auch im weniger avangardistischen, aber doch stets auch mit szenischen Überraschungen aufwartenden Erler Festival nieder: so ist auch dieser Sachs ein Poet ganz ohne Schuhwerk, und alle auf das Schustern bezogenen Sätze soll der Zuschauer rein metaphorisch verstehen.
Kuhns Erler Ästhetik für Richard Wagners reife Werke, mit dem hinter einem Schleier stets präsenten, hoch gestaffelten Festspielorchester im Bühnenrund und einer vorgelagerten Spielfläche, setzt auch für Wagners komische Oper auf ihre Eigendynamik der Musikinszenierung. So wie am Ende des „Rheingold“, beim Einzug der Götter in Walhall, die sechs Harfen vor der Bühne eine auch optische Steigerung der Handlung erzeugt hatten, so rückt die von einer attraktiven Instrumentalistin gespielte Beckmesser-Harfe beim Ständchen des Stadtschreibers (anstelle einer szenisch vorgetäuschten Mandoline) direkt ins Bühnengeschehen, und als Pedant exerziert eine feuerrot gewandte Trommlerin neben Sachs dessen Leistenschläge. Und wie Hagens Stierhorn in der „Götterdämmerung“, spielt die Orgel das Nachtwächterhorn, während der Nachtwächter selbst ausschließlich auf der obersten Orchesterstufe singt.
Noch deutlicher greift die Erler Musikinszenierung in den „Meistersingern von Nürnberg“ durch den Einsatz des nur 24 Stimmen starken Festspielchores, der sowohl die Lehrbuben als auch die Mädeln von Fürth spielt und bei den Zunftchören die Pantomime der Erler Kinder singend kommentiert. Sogar das Prügelfugato am Ende des zweiten Aufzugs kommt ohne zusätzliche Verstärkung aus, nur der Volkschor der Festwiese wird personell um Aushilfen ergänzt, obgleich alle Soli das „Wach auf!“ mitsingen. Auf diese Weise lässt auch dieser exemplarische Chorsatz an Klangfülle nichts zu wünschen übrig. Das ohne Graben überaus transparente Orchester bemüht sich trotz aller Polyphonie um kammermusikalische Präzision, ohne sich an anderen Stellen vor vollem Volumen in schmetternder C-Dur-Argumentation zu scheuen.
Am Anfang des ersten Aufzugs steht der Chor der Gemeinde in diesem christlich konnotierten Gebäude, dem akustisch überwältigenden Passionsspielhaus, neben der hölzernen Bühnenspielfläche (Bühne: Jaafar Chalabi) zusammengepfercht. Offenbar in Vorfreude auf das Johannisfest haben sie sich bereits historisierend gewandet (Kostüme: Lenka Radecky), während die vereinsmeierlichen Meister den Mummenschanz erst als sichtbaren Protest gegen Walters Werbelied anlegen. Die doppelt und dreifach besetzten Solisten von Kuhns „Accademia de Montegral“ werden den gesanglichen und darstellerischen Anforderungen in unterschiedlichem Maße gerecht. Häufig sind sie dem Dirigenten, den sie nur über Monitore sehen, mit ihren Einsätzen voraus.
Am meisten überzeugen Franz Hawlata als Pogner und Oskar Hillebrandt als Sachs, während Michael Baba als Stolzing im ersten Finale ausfiel, im zweiten Aufzug den erschreckten Ausruf und im dritten die Intonation der Spitzentöne schuldig blieb. Dem souveränen David von Andreas Schagerl könnte man hingegen die Partie des Walther von Stolzing durchaus zutrauen. Sympathien eroberte sich Martin Kronthaler mit einem Beckmesser ohne grobe Überzeichnungen; nach seinem Scheitern auf der Festwiese erlebt der Sachs auf den Leim gegangene Stadtschreiber eine Herzattacke und wird abgetragen.
Das Publikum folgte der immer wieder mit originellen Details aufwartenden Interpretation des Regisseurdirigenten dankbar und mit lautstarker Begeisterung.
Weitere Aufführungen: 17. Und 26 Juli, jeweils 17 Uhr.