Erfurt - Der Saal des Erfurter "Stadtgartens" glich am Abend des 4. November 1986 einem Hexenkessel: Im Raum drängten sich Hunderte von hysterischen Musikfans vor der improvisierten Bühne, während die langhaarigen Musiker der Erfurter Band Macbeth den Raum in voller Lautstärke mit brachialem Heavy Metal beschallten. Auf den Rängen drängten sich die Vertreter der Staatsmacht: Stasi-Mitarbeiter beobachteten mit Argusaugen die Show der jungen Musiker und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes maßen den Lärmpegel.
Wenn Gitarrist Ralf "Zeidler" Klein von jenem Abend erzählt, wird schnell klar, warum dieser Auftritt bald zur Legende wurde - und zugleich zum tragischen Höhepunkt der Geschichte einer der ersten Heavy-Metal-Bands in der DDR. Das danach verhängte Auftrittsverbot sollte nur der Anfang sein. Es folgten staatliche Schikanen, Haftstrafen und am Ende sogar der Selbstmord des Sängers der Band. Trotz all der Schwierigkeiten hat die Formation ihren Weg fortgesetzt. Am Samstag feierten Macbeth im Erfurter Club "From Hell" ihr 25-jähriges Bestehen.
Bis heute hat Klein das Dokument aufgehoben, dass vor 25 Jahren die Existenzgrundlage jedes Musikers in der DDR war: Die "Spielerlaubnis für nebenberuflich tätige Amateurtanzmusiker, Berufsmusiker und Kapellensänger", mit der die Band offiziell die Genehmigung hatte, vor Publikum aufzutreten. "Zu verdanken hatten wir die Spielerlaubnis einer 80-jährigen Professorin der Weimarer Musikhochschule, die sich für uns eingesetzt hatte", erinnert er sich.
Dass die Band überhaupt diese Erlaubnis erhielt, grenzt an ein Wunder. Belegen doch die Stasi-Protokolle, die Klein nach der Wende gesammelt hat, wie die Band von den Mitarbeitern der Staatssicherheit wahrgenommen wurde: Der Auftritt im Stadtgarten sei eine "Dokumentierung westlicher Dekadenz und rowdyhafter Verhaltensweisen", heißt es in einem Bericht. Die Musik entspreche nicht dem "hohen Niveau der sozialistischen Kunst- und Kulturpolitik". Als Fazit werden "Maßnahmen zur Disziplinierung bzw. Liquidierung der Gruppe Macbeth" vorgeschlagen.
"Eine gezielte Verfolgung von Heavy-Metal-Fans war eigentlich in der DDR eher unüblich", sagt der Experte für Subkulturen der Birthler-Behörde, Christian Halbrock. Das Problem der Stasi sei es in erster Linie gewesen, dass man die Metal-Anhänger nicht klar in Schubladen einordnen konnte: "Die wussten nicht, ob es sich nun um Punks oder Skinheads handelte". Entsprechend zwiespältig sei der Umgang mit dieser Subkultur gewesen. "Sobald jedoch jemand durch politische Aktionen oder 'Rowdytum' ins Visier der Staatssicherheit geraten war, war eine Inhaftierung sehr wahrscheinlich".
Nur ein Jahr nach der positiven Einstufung kam mit dem Auftritt in Erfurt das vorläufige Ende von Macbeth. Bei einer "Aussprache" wurde den Musikern zunächst untersagt, weiter unter diesem Namen Musik zu machen. Dann wurde dem Band-Lkw die Zulassung entzogen, der Probenraum gekündigt und der Gitarrist wurde zum Militärdienst einberufen. Unter neuem Namen machte die Band trotzdem weiter. Einige Monate später wurde der charismatische Sänger, Detlef Wittmann, wegen einer Bagatelle festgesetzt und zu einer Haftstrafe verurteilt. Erst nach der Wende sollte er wieder frei kommen.
"Das Gefängnis hat ihn verändert", erinnert sich Gitarrist "Zeidler". Kurz nach einem Auftritt der Band, die mittlerweile wieder unter dem Namen Macbeth unterwegs war, erhängte sich Wittmann. Erst nach fünf Jahren hatte sich die Band so weit von diesem Schlag erholt, dass sie sich mit einem neuen Sänger neu formieren und wieder auftreten konnte. Kurz danach überschattete ein weiterer Selbstmord die Bandgeschichte: Der Schlagzeuger stürzte sich aus dem 22. Stock eines Hochhauses. Damit schien das Ende von Macbeth besiegelt. Doch genau zehn Jahre danach, im Jahr 2003 formierte sich die Band für einen einzigen Auftritt noch einmal neu - und beschloss, es noch einmal zu probieren.
Von der Originalbesetzung sind nur noch Klein und der Bassist Hanjo Papst übrig, beide bereits um die 40. Trotzdem gelang Macbeth ein überzeugendes Comeback mit sehr gute Plattenkritiken und einem Auftritt beim Wacken-Open-Air, dem größten Heavy-Metal-Festival in Europa. Und ironischerweise hat eine der Zwangsmaßnahmen der DDR-Staatsmacht einen Teil zum Erfolg beigetragen: "Die deutschen Texte sind mittlerweile unser Markenzeichen", sagt Zeidler. "Die Ironie: Eigentlich hatten wir das nur gemacht, weil wir mit Texten in der Sprache des 'Klassenfeinds' niemals eine Spielerlaubnis bekommen hätten".