Kein künstlerischer Leiter, kein Intendant, kein Programmausschuss – die jährlichen Musikfeste der Münchner Gesellschaft für Neue Musik (MGNM) waren legendär, denn jeder der wollte, durfte spielen was ihm gefiel. Am 7. März wäre Reinhard Schulz, eines der Gründungsmitglieder der MGNM im Jahr 1996, sechzig Jahre alt geworden. Ihm zu Ehren ließen seine Mitstreiter die seit einigen Jahren ruhende Tradition der Musikfeste wieder aufleben. Im akustisch für Kammermusik hervorragend geeigneten Schwere Reiter gab es zwischen 16 und 22 Uhr ein dreiteiliges Musikfest mit 19 Aufführungen.
Das Trio Coriolis mit Michaela Buchholz, Violine, Klaus-Peter Werani, Viola, und Hanno Simons, Violoncello, eröffnete das Festival mit dem Stück „Glanz“ von Nikolaus Brass. Bei aller „Programm-Aleatorik“, das war kein Zufall, sondern von den MGNM-Machern klug bedacht. Nikolaus Brass und Reinhard Schulz verband viele Jahre ein aufmerksames gegenseitiges Wahrnehmen. Nikolaus Brass hatte das in seiner Dankesrede für den Musikpreis der Stadt München 2009 so ausgedrückt:
„Ich schulde Reinhard Schulz viel. An seinem Beurteilen, das nie ein Verurteilen war, habe ich viel gelernt. Gelernt, wie – abseits von aller journalistischer Geläufigkeit – über unsere Lage, das heißt die Lage der Kunst und hier: die Lage der Neuen Musik, nachzudenken Not tut. Sein Urteil wuchs aus dem Zentrum einer klugen, erfahrenen, lebensgesättigten Person und war gebettet in eine große Weite einer vitalen Wahrnehmungslust. Diese Lust wiederum war bestens vor Beliebigkeit gewappnet durch einen scharfen Verstand und – für mich das bestimmendste – durch ein untrügliches Gespür für Stimmigkeit, für die personale Glaubwürdigkeit einer künstlerischen Position. Dabei blieb sein Blick aufs „Ganze“, das heißt den gesellschaftlichen Bestimmungsrahmen und das, was die Kunst im Kunstbetrieb macht und umgekehrt, was der Betrieb aus der Kunst macht, ganz nüchtern und unverstellt.“
Der Glanz des Brass’schen Streichtrios ist einer, der sich langsam einstellt – das Ohr muss sich erst adaptieren, bis die kargen Konturen an Leuchtkraft gewinnen. Das Trio Coriolis verbindet seit Jahren eine enge Zusammenarbeit mit Brass und das hört man auch. Das Stück „Nachschrift – Kommentar für Viola und Cello“ von Nikolaus Brass schloss das erste von drei Konzerten des Musikfestes ab, Werani und Simons gestalteten das Duo noch intensiver als bei der erst einen Monat zurückliegenden Uraufführung im Februar beim Stuttgarter Festival Éclat.
Auf den ruhigen „Glanz“ der Eröffnung folgten starke Kontraste: Peter Kiesewetters „Scena d’irritazione per due flaute pianoforte“ lebt von aufgeregten, repetierten Klanggesten, virtuos dargeboten vom Münchner Flötentrio mit Elisabeth Weinzierl, Edmund Wächter und Eva Schieferstein. Nach Kiesewetters Atemlosigkeit fand man sich durch die „32 Atemzüge“ von Tom Johnson für Klarinette (Sebastian Rössert) und Schlagzeug (Michael Kaltenecker) zurückgeführt in einen quasi meditativen Zustand. Eva Schieferstein war bereits die Uraufführungspianistin von „Insuyu“, des in München ansässigen tschechischen Komponisten Robert Delanoff. In dem ihr gewidmeten Werk reizt sie wirkungsvoll die Kontraste sehr tiefer und sehr hoher Register aus. Gemeinsam mit seiner Frau Anna Skouras bereicherte der Pianist Andreas Skouras das Musikfestprogramm um Klänge aus der Neuen Welt: Sie spielten die „Six pieces or Violin and Piano“ von Charles Wuorinen, ein atonales Kammermusikwerk aus dem jahr 1977, das bei Anna und Andreas Skouras allerdings zu einem Stück für Klavier und Geige wurde, zu dominant war der Zugriff des Pianisten.
Stärker um tonale Zentren kreisend dagegen das Stück von Dorothee Eberhardt „Xenon Phi“ für 2 Flöten und Piano – kompetent vom Münchner Flötentrio aufgeführt – oder auch ein Flöten-Duo von Gloria Coates sowie ihr „Trio 1. – 2. -3. For three Flutes“, für das Weinzierl und Wächter ihr Duo um Angela Lex zum Trio erweiterten.
Aus seiner Komposition „ROAI III (Dataflow)“ für Klavier, synthetische und elektroakustische Klänge spielte Minas Borboudakis die Module IV-V-I-II und III. Der Komponist Borboudakis hatte dem Pianisten Borboudakis den Konzertflügel elektroakustisch erweitert und die Klarheit und Klangschönheit der Musik für dieses „neue“ Instrument gehörten mit zu den stärksten Momenten des MGNM-Musikfestes.
Im dritten Teil dann schwerpunktmäßig Musik Münchener Komponisten wie etwa vom nur wenige Wochen nach Reinhard Schulz verstorbenen Klaus Obermayer, oder auch von Limpe Fuchs, Hans Wolf, Dieter Trüstedt und Cornelius Hirsch. Alle unterschiedlichen Stilistiken verband die Tatsache, dass jedes Stück als Hommage an Reinhard Schulz gedacht war. Karl F. Gerber , Klaus-Hinrich Stahmer, Harald Lillmeyer und Nicolaus Richter de Vroe widmeten ihre Werke und Improvisationen explizit ihrem Freund und publizistischem Mitstreiter. Dieter Schnebels Trauermarsch und Liebes-Lied für Klavier fordern Singen und Schreien von der Pianistin: die Widmung von Julia Schölzel ging unter die Haut.