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Das Lyrische und das Wilde machen gemeinsame Sache: Agustí Fernández beim BMW Welt Jazz Award. Foto: Ssirus W. Pakzad
Das Lyrische und das Wilde machen gemeinsame Sache: Agustí Fernández beim BMW Welt Jazz Award. Foto: Ssirus W. Pakzad
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Morgenröte mit Nebengeräuschen: Agustí Fernández und sein Aurora Trio beim „BMW Welt Jazz Award“

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Bitterkalt ist es. Über der BMW Welt hängt so ein unfreundlicher verwaschen weißer Himmel, der nicht recht verraten will, ob er noch für Niederschlag gut ist oder in sonntäglicher Trägheit auf Aktivitäten verzichtet. Die Seele wärmende Morgenröte aber, die manch einer vielleicht vermisste, der sich früh aufmachte, um einen Sitzplatz im Doppelkegel des Gebäudes zu ergattern, die lässt sich hören – Agustí Fernández und sein Aurora Trio traten beim diesmal „Jazz And The City“ überschriebenen „BMW Welt Jazz Award“ in einem gesellschaftlich relevanten Matinee-Konzert auf.

Unwirklich schön klingt das, wenn die Sonne kurz davor ist, über die Linien des Horizonts zu klimmen und als Gruß schon mal ein wenig von ihrem Licht vorausschickt. Manchen Seufzer verursachen die „aurorisch“ wohligen Klänge, die der Pianist Agustí Fernández aus dem Flügel holt.

Doch … was ist das? Eben noch wollte man andachtsvoll sanft in diesen Morgen hinein gleiten und schon hat einen der Alltag eingeholt, mit all seinen Geräuschen. Während die akustischen Begleiterscheinungen urbanen Lebens häufig nur Stress verursachen und nerven, sind die hörbaren Störmanöver in der BMW Welt willkommen. Soviel Schönheit wie die, die aus dem Steinway strömt, die muss gebrochen werden, denken sich der legendäre englische Bassist Barry Guy und der in Paris lebende spanische Schlagzeuger Ramón López. Sie wühlen die Harmonien auf, verändern die Ordnung, die Realität, foppen die zarten Akkorde und Arpeggien. Doch was sich neckt, das liebt sich. In diesem Fall: inniglich.

Es gehört zum Konzept des Aurora Trios aus Barcelona, dass das Lyrische und Wilde gemeinsame Sache machen. Aus dem ständigen Wechselspiel bezieht die Musik ihre Spannung, aus diesem Kampf zwischen heiß und kalt, zart und hart, Form und Freiheit.

Nicht immer vertritt der Pianist Agustí Fernandéz im Aurora Trio nur die verletzliche Seite. Er kann auch so hinlangen, dass er zwischendurch die Hände ausschütteln muss, die eben noch auf die Tastatur nieder klatschten, als sei der Flügel eine Cajón. Cluster la vista, baby. Doch die wütenden Attacken, die reichlich Arbeit für den Klavierstimmer bedeuten, münden auch schnell wieder in versöhnlichen Akkorden, in ergreifenden Melodien mit iberischer Färbung, die sich unbeirrbar ihren Weg durch den unwegsamen Hintergrund bahnen.

Die Musik dieses Dreiers ist so verbindlich wie frei. Sie trägt die Möglichkeit in sich, manch einen zu verstören. Doch an diesem Wintermorgen nimmt sie fast alle Menschen in der BMW Welt gefangen. Viele Zuhörer im Auditorium sieht man sonst selten in Jazzkonzerten, weshalb vermutet werden muss, dass diese „Unbekannten“ nicht viel Erfahrung mit solcher Musik haben. Umso verblüffender ist es, wie sie auf die sperrigen, wenig Rücksicht nehmenden Klänge reagieren, wie sie bei den fulminanten Ausbrüchen des spanisch-britischen Trios mitgehen, wie sie das Wechselspiel zwischen Feinem und Grobem goutieren.

Zum Ende des Konzerts reißt es ein Drittel des Publikums von den Sitzen. Die Zugabe dann, mitternachtstauglich, lange nach Sonnenuntergang, wenn der Kopf und die Augen schwer werden und das Herz leicht ist, Musik, die die Träume schon ein wenig vorweg nimmt. Ist nicht mehr lang hin bis zur nächsten Morgenröte.

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