Für die blinde Monika Spangenberg wird der Samstag (7. März) ein ganz besonderer Abend. Auf dem Programm des Theaters Heidelberg steht die Mozart-Oper «Titus». Spangenberg wird erstmals einer Opernhandlung folgen können, ohne dass ihr Mann Christian leise die Szenen beschreiben muss. Mit dem Stück wird zum ersten Mal in Deutschland eine Oper speziell für blinde und sehbehinderte Menschen gezeigt.
Schon im vergangenen Jahr, als das Heidelberger Theater die Operette «Frau Luna» von Paul Lincke speziell für Sehbehinderte aufführte, kamen Monika Spangenberg und ihr Mann extra aus Bonn an den Neckar gereist. «So etwas wäre früher kaum denkbar gewesen. Es ist wirklich ein Fortschritt, dass Sehbehinderte auf diese Weise am kulturellen Leben teilnehmen können», sagt die 53-Jährige, die beim Bonner Kulturamt arbeitet.
Doch wie genau funktioniert eine Oper, die speziell für Menschen konzipiert ist, die nichts oder kaum etwas sehen? Im Prinzip läuft die Aufführung wie jede andere ab, doch werden die Szenen auf der Bühne von Anke Nikolai beschrieben und dank moderner Technik direkt über Kopfhörer an die Zuhörer weitergegeben.
Diese sogenannte Audiodeskription steht ganz allgemein für das hörbare Beschreiben von visuellen Eindrücken und wird schon seit einiger Zeit für Filme eingesetzt. Nun werden auch bei «Titus» in Heidelberg die sichtbaren Elemente, etwa das Bühnenbild, aber auch die Darsteller und ihre Gestik, genau beschrieben. «Alles, was für das ästhetische Erleben des Werkes wichtig ist, übersetze ich in Sprache», sagt Anke Nikolai.
Die 32-Jährige aus Berlin sitzt im Vorstand der Vereinigung Deutscher Filmbeschreiber, kennt inzwischen aber auch die Schwierigkeiten während einer Bühnenaufführung. «Bei einem Film ist es vergleichsweise einfach, während der Dialogpausen den Beschreibungstext zu sprechen. Bei einer Oper ist es aber schwieriger, weil auch die Musik berücksichtigt werden muss», erklärt sie. Bei der Auswahl geeigneter Stellen habe sie deshalb Momente gewählt, in denen die Musik verhaltener gespielt wird. Und zu Beginn jedes Aktes liefere sie «eine kurze und prägnante Inhaltsangabe».
Bei der Vorbereitung wurde Nikolai von Monika Spangenberg unterstützt. Die Bonnerin hat gemeinsam mit ihr die Oper angehört und ihr geschildert, was für einen blinden Menschen schwierig nachzuvollziehen ist, zumal die Mozart-Oper in italienischer Sprache aufgeführt wird. Beide Frauen sind sich nach den Vorbereitungen sicher, dass die Audiodeskription keine Schmälerung des Musikgenusses mit sich bringt. Insgesamt dauert die Aufführung in Heidelberg drei Stunden, was höchste Konzentration von allen Beteiligten fordert.
Bislang haben etwa hundert sehbehinderte Frauen und Männer aus ganz Deutschland für Samstag ihr Kommen angekündigt. Um ihnen weitere Eindrücke zu verschaffen, gibt es vor der Aufführung eine Bühnenbegehung. Außerdem haben die Besucher die Möglichkeit, die Requisiten des Stücks zu berühren. «Wir wollen einen ganzheitlichen Eindruck bieten», sagt der Intendant des Heidelberger Theaters, Peter Spuhler.
Besonders spannend findet es Spuhler, dass die Figur des Titus, anders als in üblichen Inszenierungen, selbst als blinder Herrscher agiert. «Unserer Ansicht nach verstärkt das die Identifikation der Besucher mit dem Stück», sagt der Intendant. Allerdings hat Regisseur Christian Sedelmayer den blinden Titus so ersonnen, noch bevor die Entscheidung über eine Aufführung speziell für Sehbehinderte fiel. Die Blindheit von Titus, der von seinen Mitstreitern verraten wird, soll die Unfähigkeit verdeutlichen, unmittelbare Gefahren im eigenen Umfeld zu erkennen.
Um auch gut sehenden Zuschauern einen Eindruck des Blindseins zu vermitteln, gibt das Theater spezielle Brillen aus, welche die Sicht verstellen. «Wir wollen nicht nur einen besonderen Service bieten, sondern auch die Sensibilität der Gesunden erhöhen», erklärt Spuhler. Eine einmalige Aktion soll das Opernprojekt nicht bleiben. Dem Intendant zufolge ist bei der Sanierung des Heidelberger Theaters geplant, eine feste Anlage für Audiodeskription einzubauen, sodass mehrmals pro Jahr Angebote für blinde Theater- oder Opernliebhaber möglich sein werden.