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„Die Preisbindung für Bücher wird wohl kippen“ – so beginnt der Kommentar im Wirtschaftsteil einer großen Zeitung. Der Autor sieht gemeinsam mit dem Brüsseler Wettbewerbskommissar Karel van Miert keine Gründe mehr, die Preisbindung aufrechtzuerhalten. Der Buchmarkt gehorche ebenso den allgemeinen ökonomischen Gesetzen wie andere Warenmärkte. Im übrigen habe dieser Markt mit seiner Preisbindung die eigenen Regeln selbst oft unterlaufen, durch Konzentration oder Absprachen der Verlagshäuser, durch preisgünstige Sonderausgaben, vielleicht auch durchs grobe Verramschen mancher Titel. Das Argument, die Preisbindung schütze die Existenz des „kleinen“ Buchhändlers und damit kulturelle Vielfalt, wird nicht länger akzeptiert. Wenn schon Kulturwert, dann läge er im Wertesystem des sogenannten freien Wettbewerbs. Dieser moderiere angeblich die „individuelle Verfügung“ über „wirtschaftliche Macht“.
Solche Argumente sind scheints korrekt und logisch. Dennoch sträubt sich etwas im musischen Hinterkopf, dem kleinen Buchhändler, oder auch dem Musikalienhändler, den Kulturwert zu bestreiten, die Spielregeln für den Verkehr zwischen ökonomischer Macht und Wettbewerb gar zu einer Kulturleistung zu erheben. Dieser „erweiterte“ Kulturbegriff müßte erst mal genauer definiert werden. Die derzeitigen Praktiken scheinen uns mit radikaler Wirtschaft viel und mit Kultur oder auch nur zivilisiertem Umgang unter- und miteinander kaum etwas gemein zu haben. Das Buch, so sehr es auch oft zum bloßen Handelsgegenstand verkommen sein mag, bewahrt für Menschen, die der wachsenden Verrohung des Geistes und des Gemüts in Staat und Gesellschaft alarmiert gegenüberstehen, eine Aura der Würde und die Chance zu einer Erziehung im humanistischen Geist. Wer diese Aura zu schützen versucht – über eine geeignete Differenzierung des ökonomischen Umfelds kann diskutiert werden – ist nicht von gestern, sondern von morgen.
Wir erschrecken noch, wenn wir in Dokumentarfilmen die wüsten Bilder der Bücherverbrennungen im Dritten Reich sehen. Erst brannten die Bücher, dann die Menschen. Es muß da wohl geheimnisvolle, wechselseitige Beziehungen geben. Warum schwört der Mensch auf die Bibel? Weil sie etwas mehr ist als bedrucktes Papier für den Wettbewerb. Und der „kleine“ Buchhändler ist auch mehr als nur ein Buchverkäufer. In seinem „Gemischtwaren-Laden“, falls er für ihn überhaupt noch die Miete bezahlen kann, versammeln sich Leser und Freunde um Autoren, die ihnen vorlesen und mit ihnen über Gott und die Welt gute Gespräche führen. Nicht nur die Preisbindung wird wohl kippen. Das Buch selbst kippt hinterher: auf die Müllkippe des sogenannten freien Wettbewerbs. Bekanntlich stellt ja auch die Müllkippe eine Kulturleistung dar. Vielleicht bald unsere letzte.