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So probt man in Priština – Toshio Yanagisawa vor seinem „Orkestra Simfonike“. Foto: Georg Beck
So probt man in Priština – Toshio Yanagisawa vor seinem „Orkestra Simfonike“. Foto: Georg Beck
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Muse, erzähl uns vom Amselfeld: Mit der Menuhin Foundation im Kosovo – ein Reisebericht mit Rückkopplungen

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In der Warteschlange vor der Passkontrolle auf einmal dieses Großfoto. Das Porträt eines Kämpfers. Martialisch, zugleich unfrei­willig drollig, wie das wallende Haupt­haar unter der Uniform-Mütze hervorquillt und in diesen Rausche­bart übergeht. Ein Signal für uns entmili­tarisierte Bildungs­euro­päer? Achtung, Flug 115 Adria Airways aus Frankfurt am Main hat Sie in ein Land gebracht, das seine Existenz einem (gerade beendeten) Krieg verdankt?

Die fällige Bild­unter­schrift liefert uns Dardan Kryeziu, unser Chauffeur, Termin­macher, Über­setzer. Er erwartet uns am Ausgang, um uns gleich ins Bild zu setzen: „Adem Jashari, UCK-Mitgründer, gefallen 1998.“ Und mit ironischem Unterton: „Einer unserer Heroen!“ Wie die meisten im Land hat auch Dardan wenigstens zwei Jobs. Nur, dass er hier und heute weniger als studierter Psychologe denn als „nationaler MUS-E-Koordinator Kosovo“ auftritt. Organisiert als Verein, der sich über Spenden finanziert, ist man wie die übrigen zwölf europäischen und nichteuropäischen MUS-E-Länder Teil des Netzwerks der IYMF, der International Yehudi Menuhin Foundation Brüssel. Eine Konstruktion, die Dardan immerhin jene Auslandsreisen ermöglicht, die anderen wegen der strikten Visa-Regeln des Landes verwehrt sind. Nicht den Anschluss (an Europa) verlieren – darum geht es hier.

Unter anderem mit MUS-E Kosovo. Seit zwei Jahren gibt es diesen Projekt-Ableger in einem Land, dessen politische Ökonomie einen in tiefe Melancholie versetzen kann: Stromge­winnung aus ungefilterten Braunkohlekraftwerken, defizitärer Außenhandel (Exportgüter Pilze, Bauholz, Altmetall) und, bei rasantem Bevölke­rungs­­wachstum, eine Arbeits­losenquote um die 50 Prozent. Was die Arbeitsemigration wie von selbst befördert. Offenbar auch das Verbrechen. Noch im Flugzeug haarsträubende Lektüre über einen amtierenden kosovarischen Premier­minister. „Schlüsselfigur“ der organisierten Kriminalität. Waffenhandel, Drogenhandel, Organhandel, Auftragsmorde. Samt und sonders Früchte (und Früchtchen) eines „Unabhängigkeits­krieges“.

Die Angst nehmen

Auf der Fahrt zum ersten Schultermin ein Schnellkursus in Sachen MUS-E. Der Binde­strich, sagt Mitreisender Werner Schmitt aus Bern, ist ganz wichtig. „Wir wollten den Namen abgrenzen. Hinterher ist daraus unge-plant eine geschützte Marke geworden. Aber in Wirklichkeit ist dieser Bindestrich ein Geheimnis. Und dieses Geheimnis ist das Geheimnis der Kunst.“ Wer das sagt, ist selbst so etwas wie ein Bindestrich. Einer, den man erfinden müsste, wenn es ihn nicht schon gäbe. Keine Frage. Selbst im Ruhestand ist das Verbindungen-Stiften dem Cellisten, Musik-Organisator, Wahlschweizer und langjährigen Menuhin-Freund Werner Schmitt, gebürtig aus Kottenheim in der Eifel, zur Mission geworden. Worum es geht? Um ein Bindestrich-Geheimnis, um ein Vermächtnis. Mit anderen Worten um Künstler, die in Schulen gehen. Nicht, um Noten, sondern um Kunst (weiter) zu geben. Nicht irgendwann am Tag, sondern während der Unterrichtszeit: Arts at School – Menuhin selbst hat es noch so konzipiert.

Über Melehate Qena hätte er sich gefreut. Wir treffen sie in „Miahil Gramneno“, der Grundschule im Stadtteil Fushë Kosova mit hohem Roma-Anteil. Melehate Qena ist schon älter, hat zurückgekämmte schwarze Haare und liebt klare Impulse. Mit glühenden Augen hängen die Kinder an ihren Lippen. Selbst der Klassenlehrer schaut verzaubert, scheint irgendwie erstaunt darüber, wozu seine Schäfchen so fähig sind. 

Dabei scheint alles ganz einfach zu sein: Improvisationsübungen elementarer Art, rhythmisches Sprechen, body percussion. Ausgebildet in Belgrad, ist Melehate Qena ein Urgestein der hiesigen Theaterlandschaft bereits zu einer Zeit, als an ein Staatsgebilde namens Kosovo noch gar nicht zu denken war. Seit 1985 ist sie der Kopf des Dodona-Theaters Priština, in dessen Aufführungen sie unter all den jungen Spunden als weise Alte immer noch kräftig mitmischt. Und weshalb arbeitet jemand wie Melehate Qena als MUS-E-Künstlerin mit Erstklässlern? – Den Kindern die Angst nehmen, sagt sie. 

Weiter zur zweiten Station. Auch in „Hasan Priština“ ein ganzes Klassenzimmer voller Grundschüler. Vierzig erwartungsvolle Augenpaare. Der Ansatz hier eher traditionell. Arijeta Daci ist Leiterin eines Kinderchores, weswegen sie stets den Ghettoblaster dabei hat, um „Kulla Moderne“, um „Potpuri Qytetare“ abzurufen, tanzbare Folkmusiken, die geschickt mit Perkussion, E-Gitarren und Synthesizer aufgemischt sind. Alle mit Feuer dabei. Nicht anders beim Schulbesuch in Mitrovica an der unruhigen Grenze zu Serbien. Dort erfahren wir von der Direktorin, dass die Heizung im Winter ausgefallen und der (serbische) Klempner (natürlich) nicht gekommen sei. Ein hartes Leben. Aber in den Klassen (wie zum Trotz?) stets dieselbe Freude an der Musik, an der Bewegung, an den überlieferten Folklore-Tänzen des Landes wie an solchen, die Anleihen bei Modetänzen nehmen. Danach regelmäßig Fortsetzung des Gesprächs auf den Fluren. Tenor: MUS-E – genau das, was wir hier brauchen.

Baustellen

Ortswechsel. Musikhochschule Priština. Eine Unterrichtsstunde. Mit Engelsgeduld kämpft Sihana Badivuku, in Moskau ausgebildete Geigerin, gegen das Phlegma eines Schülers. Im Anschluss ein Gespräch zu den Umständen, unter denen hier unterrichtet wird respektive werden muss, wenn sich etwa von nebenan Klavierspiel in die Geigenstunde mischt. Soviel ist sicher: Wo Sihana Badivuku ihre Schüler empfängt, würde in Bern oder in Berlin allenfalls eine Besenkammer installiert werden. In Priština dagegen sichert man ein defektes Türschloss im ‚Unterrichtsraum‘ auch mal mit einem Stuhl unter der Klinke. Geht doch! Sihana Badivuku nimmt es mit Humor. „Our little room“, lacht sie.

Toshio Yanagisawa hat sein Dirigentenpult gleich hinter der Tür. Vor ihm, in Armreich­weite, erste, zweite Violinen. Dahinter, dicht an dicht, der Rest der Mannschaft. Kontraproduktiv wäre noch das Wenigste, was sich über ein solches Setting sagen ließe. Wem immer das Gefühl der Klaustrophobie nicht geläufig sein sollte – hier, im Probensaal des „Orkestra Simfonike e Filharmonise se Kosovës“, des Sinfonie-Orchesters der Kosovo-Philharmonie zu Priština, könnte er es lernen. Ein ausgewachsenes Sinfonieorchester zusammen­gepfercht in einem Sitzungsraum. Mit einer Deckenhöhe, ausgelegt für die gewöhnliche Sprechakustik, aber eben nicht, wenn 50 Menschen zusammenkommen, um, wie jetzt in der Hauptprobe fürs anste­hende Sinfoniekonzert, ihre Instrumente zum Klingen zu bringen. 

„Was soll ich machen?“ – Direktor Baki Jashari zuckt mit den Schultern, „ein eigener Konzertsaal?“ Davon könne er nur träumen. Überhaupt ist es nur eine der Baustellen, die Jashari hier verwaltet. Eine andere, von der er zumindest weiß, ist sein Etat. 200.000 Euro, sagt sein „Ministria e Kulturës“, müssen reichen. Jashari hat die ehrenvolle Aufgabe, davon eine ganze Saison zu bestreiten, was natürlich nur geht, wenn sich alle mit einem Taschen­geld begnügen und sich sagen, dass sie froh sein können, überhaupt antreten zu dürfen. Begeisterungs- und leidensfähig muss sein, wer sich im Kosovo zur Kunst berufen fühlt. Klaglos hinnehmen, was doch nicht zu ändern ist. Zum Beispiel das Brummen und Scheppern, das an diesem Probennach­mittag als Orchesterklang ausgegeben wird und das alle dadurch kompen­sieren, indem sie lauter werden. Und, damit ihnen in ihrer Sardinenbüchse nicht das Trommelfell platzt, bleiben die Türen zum Vorraum, eine Kombination aus Windfang, Garderobe, Instrumentenkammer, wohlweislich offen. In der Ecke läuft ein Fernseher vor sich hin. Orchesterdiener beim Kartenspiel. Bierflaschen. Intendant Jashari lässt die Schultern noch mehr hängen und zieht sich in sein Direktoren­zimmerchen zurück. Es ist nicht nur das warme Wetter, das ihm den Schweiß auf die Stirn treibt. Wahrscheinlich müssen wir uns Baki Jashari als einen über­forderten Menschen vorstellen. Sein Job: den Mangel verwalten. Und bitte so, dass es möglichst wenig Ärger gibt. Gut fürs Ego des Künstlers im Orchester-Direktor, dass er als Tonsatz-Lehrer auch „Kompositions­schüler“ hat. Kreshnik Alickaj zum Beispiel, der jetzt bei ihm im Zimmerchen sitzt und eine Partitur im Schoß hält. Auf einmal ein Stichwort: Donau­eschingen. Alickaj schüttelt den Kopf. Davon und von ähnlichen Dingen hat er noch nie gehört, glaubt dafür aber fest an seine 2. Sinfonie, die beim Konzert im Rahmen des 7. „DAM-International Festival of Young Musicians“ uraufgeführt werden wird. 

Am Abend im Restaurant. Arbeitsessen Kosovo-Sektion ESTA, der „European String Teachers Association“. Arrangiert (und finanziert) einmal mehr von Werner Schmitt. Eine gelöste Runde, die sich mit einer Mischung aus Albanisch, Englisch, Deutsch behilft. Alles zusammen kein Problem für den ehemaligen Solocellisten des Orchesters. Frage nur: Wieso „ehemalig“? 

Der winkt ab. Man müsse wissen, dass er mit seinem Kammertrio bis nach Wien engagiert werde und dass ihm die Gepflogenheiten eines halbwegs funktionie­renden Orchestermanagments geläufig seien. Deshalb habe er einfach keine Lust mehr gehabt, im März immer noch nicht zu wissen, was im September auf dem Programm steht. Spricht’s und versenkt (nach landestypischer Manier?) einen der hier gern gereichten Schnäpse. – So nachvollziehbar der Unmut ist, zugleich erlebt das zum Millenium (wieder) gegründte Sinfonieorchester doch gerade einen erfreulichen Generationenwechsel. Immer mehr junge Musiker kommen gut ausgebildet und mit zeitgemäßen Interpretations­haltungen versehen aus dem westeuropäischen Ausland zurück. Klar, dass sie sich an Gepflogenheiten, an Pfründen der alten Garde reiben.

Not guilty

Tags darauf Generalprobe. Dafür geht es – wir glauben zuerst an einen Scherz – nach Skopje. Doch tatsächlich besteigen die versammelten Kosovo-Sinfoniker einen Bus, der sie binnen zweieinhalb Stunden über die Grenze nach Makedonien bringt. Selbst hat man zu wenig Bläser, nicht genügend Cellisten noch Perkussionisten. In Skopje immerhin erwartet das Orkestra Simfonike ein regelrechtes Konzerthaus, in dem sich freilich bald herausstellt, dass es beim Glass-Violinkonzert „balance problems“ gibt, wie der aus England verpflichtete Solist Thomas Gould das später nennen wird. Ein Kasus, der auch dem Dirigenten nicht entgeht. Nur zieht Yanagisawa daraus keineswegs den Schluss, dass das Orchester zu laut, sondern dass der Solist zu leise ist. Man beschließt, ihm für die Aufführung eine Verstärkung zu geben. Die Dinge nehmen ihren Lauf.

Die Salla e Kuqe, die Red Hall von Priština ist eine Mehrzweckveranstaltungshalle noch aus der Tito-Zeit. Flach ansteigende Stuhlreihen von der Bühne ins Auditorium. Seinerzeit State of the Art. Am Vorabend hat hier Echo-Klassik-Preisträger „Spark – The Classical Band“ für sein Lieder-Potpourri von einem überraschend jungen Publikum viel Beifall bekommen. Was vor allem aufs Konto einer perfekten Bühnenshow ging und dem festen Vorsatz, Schubläden zu ziehen, Schablonen zu bedienen. Eine leicht triefende Bearbeitung von „Ich hab‘ im Traum geweinet“ aus Schumanns Dichterliebe nach Heinrich Heine wurde überraschend skrupellos als „german folksong“ feilgeboten. 

Zum Sinfonie-Konzert am Sonntag-abend an gleicher Stelle hat sich neben dem wieder mehrheitlich jungen Publikum auch das Fernsehen eingefunden. Live-Übertragung! Das Programm mit Violinkonzert von Glass, mit Cages 4’33‘‘, mit der Uraufführung der 2. Sinfonie eines kosovarischen Komponisten und mit einem Werk eines unbekannten Japaners durchaus anspruchsvoll. Die Ergebnisse durchwachsen. Noch das berühmte Schweigestück wird ungerührt in den Sand gesetzt. Missverstanden als Jokus eines Narren. Den meisten Jubel erntet die gefällige Oberfläch­lichkeit von Alickays 2. Sinfonie und Kaoru Wadas „Valle Folklorike“: Schreie, Trommeln, Blech. Das wirkliche Desaster folgt freilich in Gestalt des Glass-Konzerts. Nur eben, dass hinterher niemand mehr zu sagen weiß, weshalb es einem der Fernsehleute einfiel, ausgerechnet einen jener Laut­sprecher zu verrücken, der mit Goulds Violine verbunden war. Ergebnis: Im Finalsatz eine derart massive Rückkopplung, dass es dem Solisten das Instrument von der Schulter reißt. Nach Konzertschluss wischt sich Baki Jashari einmal mehr den Schweiß von der Stirn. Tapfer nimmt er seine Techniker am Mischpult in Schutz. „Not guilty!“ Was allein schon deswegen einleuchtet, weil ‚Schuld‘ immer gleich mit ‚Sühne‘ zufrieden ist. Irgendwie aber scheint die Sache doch System zu haben. 

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