Christopher von Deylen findet sich eigentlich "ziemlich uncool". Tatsächlich betreibt der bescheiden und völlig unspektakulär auftretende Berliner seit Jahren mit "Schiller" eines der erfolgreichsten deutschen Musikprojekte. Für seine Alben mit ausgefeilter Ambient- und Elektronikmusik erhielt der 39-Jährige neben weiteren Preisen unter anderem zweimal Platin, fünfmal Gold sowie einen Echo-Award. Am Freitag (12. März) erscheint mit "Atemlos" das sechste Schiller-Album, und wie seine Vorgänger hat es eine ungewöhnliche Vorgeschichte.
Während von Deylen für seine letzte CD "Sehnsucht" noch 20 000 Kilometer mit dem Auto von Berlin nach Kalkutta fuhr, ließ er sich jetzt vom ewigen Eis inspirieren. Vier Wochen lang konnte er auf dem Forschungsschiff "Polarstern" ein internationales Team von Meeresforschern in die Arktis begleiten. "Dabei war mir wichtig, nicht als Tourist mitzufahren, sondern vollwertiges Mitglied der Gruppe zu sein", sagt der Musiker im ddp-Gespräch. So durfte er den Tauchroboter Quest auch selbst über den Meeresboden in 2500 Meter Tiefe steuern. "Das sind so intensive Eindrücke, die sich erst einmal setzen müssen."
Nur ein Stück des neuen Doppelalbums entstand direkt auf der "Polarstern", die anderen etwa 30 entwickelten sich später. "Mir ging es ja nicht darum, einen Soundtrack für diese Unterwasserwelten zu schaffen", sagt von Deylen, der für "Atemlos" mehr denn je komplexe, teilweise hypnotische Klangwelten schuf. "Mich fasziniert der kreative Prozess. Dafür braucht man nun mal Geduld und Leidenschaft." Er wolle es sich ersparen, bequem zu werden, sagt der Berliner.
Für die Mitarbeit an "Atemlos" konnte er unter anderen New-Wave-Legende Midge Ure (Ultravox) und die amerikanische Sängerin Nadia Ali gewinnen. Besonders beeindruckt zeigte sich von Deyle von der Begegnung mit dem Schlagzeuger Jaki Liebezeit. "Jaki ist seit seiner Zeit bei Can eine Legende. Es war faszinierend zu erleben, welche Emotionalität er aus seinem Instrument herausholt."
Für "Atemlos" stellte von Deylen auch seine eigene Arbeitstechnik auf den Prüfstand. Bislang war es so, dass er die Stücke fertig entwickelte und dann als Datei an die Sängerinnen und Sänger schickte, mit denen er zusammenarbeiten wollte. Mit der indonesisch-französischen Sängerin Anggun setzte er sich aber in Berlin an den Flügel und entwickelte die Musik gemeinsam. "Das kostete ziemliche Überwindung für einen Perfektionisten wie mich. Aber es hat wunderbar funktioniert."
Mit "Atemlos" ist Christopher von Deylen bei der "Suche nach dem perfekten Klang", die ihn nach eigenen Angaben antreibt, noch ein Stück weiter gekommen. Die Klangkonstruktionen sind raffinierter und ausgefeilter denn je. Sie vermögen auch die Zuhörer zu fesseln, die mit elektronischer Musik ansonsten wenig anfangen können. Allerdings wird sich von Deylen fragen müssen, wie er das jetzt erreichte Niveau noch steigern will.
Der Albumtitel "Atemlos" habe übrigens nur am Rande mit der Antarktis-Expedition zu tun, erläutert der Musiker: "Ich versuche immer Albentitel zu finden, die etwas mit der Zeit zu tun haben, in der wir leben. Und ich finde, wir leben wirklich in atemlosen Zeiten."
Das Musikprojekt «Schiller» in sechs Daten
- «Schiller» wurde 1998 in Hamburg von den Musikern Christopher von Deylen und Mirko von Schlieffen gegründet. Im Juli 2003 trennten sich die beiden, seither führt von Deylen das Projekt von Berlin aus allein weiter.
- Christopher von Deylen hatte 1998 gerade «Die Glocke» von Friedrich Schiller gelesen und veröffentlichte fortan seine Produktionen unter dem Namen des Dichters.
- Alben von «Schiller» wurden in über 26 Ländern veröffentlicht. Das Projekt erhielt bislang zweimal Platin, fünfmal Gold sowie den Musikpreis Echo im Jahr 2002. Drei Deutschlandtourneen waren ausverkauft.
- Typisch für «Schiller» ist die Zusammenarbeit mit bekannten Schauspielern, die über der elektronischen Musik Gedichte oder philosophische Texte rezitieren. Unter anderen wirkten bislang Benjamin Völz, Hans Paetsch, Ben Becker und Anna Maria Mühe an «Schiller»-Alben mit.
- Zu den prominenten Gastmusikern zählen unter anderen Sarah Brightman, Mike Oldfield, Xavier Naidoo und Thomas D von den Fantastischen Vier.
- Die Tournee zum aktuellen Album «Atemlos» startet am 14. Mai in Trier und endet am 30. Mai in Berlin. Stationen sind unter anderem Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Bamberg, Chemnitz und München.