Vom 29. Juni bis 7. Juli 2012 steht die bayerische Landeshauptstadt im Zeichen des 30. Münchner Filmfests. Wie bereits in den vergangenen Jahren veranstaltete der Bayerische Rundfunk zum Auftakt einen Tag der Filmmusik: filmtonart - mit verschiedenen Panels, Werkstatt-Gesprächen und einem Wettbewerb. Filmkomponisten, Regisseure und Filmfans soll mit filmtonart ein Forum und Begegnungsstätte geboten werden. Die Keynote sprach in diesem Jahr Sir Peter Jonas, zwischen 1993 und 2006 Staatsintendant der Bayerischen Staatsoper.
Er näherte sich dabei dem Thema Filmmusik aus einer historisch-philosophischen Perspektive heraus: „Das Kino ist ein gesellschaftliches, ein kathartisches Ritual, durchaus mit dem Theater der griechischen Antike vergleichbar. Und in diesem Ritual hat die Musik die Funktion des Chores übernommen. Sie fungiert als Vorhangzieher, Cutter, Kommentator und Deus ex Machina, und befreit so den Film aus seinem ansonsten beharrlichen Naturalismus. Manche Filme wären ohne ihre großartige Filmmusik längst vergessen,“ so Jonas.
Eines der ersten Panels befasst sich mit dem Thema „Filmmusik als Wirtschaftsfaktor - Wie die Musikwirtschaft den Medienstandort München stärkt“. Auf dem Podium im Studio 2 des Bayerischen Rundfunks versammelten sich am Freitagvormittag: Christoph Becker, Geschäftsführer der Constantin Music GmbH, Annette Josef, Orchesterdirektorin und Stellvertreterin des Intendanten bei den Münchner Symphonikern, der Komponist Andreas Weidinger, Klaus Schaefer, Geschäftsführer des FilmFernsehFonds Bayern, und Karsten Wulff, Leiter des Referats BR-KLASSIK Koordination, die Moderation übernahm Manfred Gillig-Degrave, Chefredakteur der Musikwoche. Einigkeit herrschte von Anfang an darüber, dass die Filmmusik sicher ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor für die Stadt München sei. Nicht nur Filmschaffende und Komponisten seien dabei involviert, auch Subunternehmer wie Tonstudios, Orchester, Sampling-Techniker und vieles mehr spielten dabei eine Rolle. Nur müssten „stabile Rahmenbedingungen geschaffen werden“, so Annette Josef. Und Klaus Schaefer dazu: „Das Geld ist knapp und muss deswegen sparsam verteilt werden.“ Über Filme würde bei der Förderung immer als Ganzes entschieden werden, dabei sehe man sich nicht einzelne Posten wie die Filmmusik gesondert an.
Christoph Becker monierte das Problem einer fehlenden zeitgemäßen „Scoring Stage“ wie es sie beispielsweise in der Berliner Babelsberg Studios gäbe. In München könnten Scores im Moment nicht mit der neuesten angemessenen Technik aufgenommen werden, Strukturförderung sei vonnöten. Für sämtliche großen Audioproduktionen gäbe es sowieso nur einen einzigen adäquaten Raum, der ständig besetzt sei. Aus diesem Grund, sei ein neuer Konzertsaal, in dem man auch proben könne, kein Luxusproblem, merkte Karsten Wulff dazu an.
Die Filmmusik-Budgets für deutsche Film- und Fernsehproduktionen seien im Vergleich zu den USA „lächerlich“, so Komponist Andreas Weidinger, der viele Jahre in Amerika lebte und arbeitete. Und weiter stellte er fest, dass die Zusammenarbeit, beziehungsweise Vernetzung zwischen Filmmusikstudiengängen und der Filmhochschule dringend verbessert werden müsse. „Stabilität und Nachhaltigkeit in den Budgets“ seien das, was erfolgreiche Produktionen bräuchten. Als Endergebnis war man sich einig, demnächst einen Runden Tisch zum Thema Scoring Stage München einzuberufen, um die Finanzierung und Realisierung vorantreiben zu können.
Nach der Mittagspause war ein prominenter Gast aus Hollywood auf der selben Bühne zu erleben: der gebürtige Südtiroler Giorgio Moroder, dreifacher Oscar-Gewinner und Entdecker der kürzlich verstorbenen Donna Summer, Vorreiter des Synthesizer-Disco-Sounds der 70er, gab in einem anregenden und lebhaften Gespräch mit Radio-Legende Fritz Egner und dem BR-Film-Redakteur Manfred Aicher allerlei Anekdoten aus seiner beispiellosen Karriere zum Besten. München, so erinnert sich Moroder, war in den 70ern eine „Boomtown“ der Musik gewesen, der „Munich Sound“ war damals ein geflügeltes Wort weit über die Tore der Landeshauptstadt hinaus. So ließ der Ruf aus Hollywood nicht lange auf sich warten. Und gleich eine der ersten Produktionen als Komponist für Alan Parkers „Midnight Express“ gewann den Oscar für die beste Filmmusik. Es folgten Megahits wie „What A Feeling“ (Flashdance) oder Filme wie „Top Gun“ („Take My Breath Away“) und „American Gigolo“. Dabei erfuhr man so pikante Details wie, dass in der Schlussszene von Flashdance nicht nur ein weibliches, sonder sogar ein männliches Körperdouble eingesetzt wurde… Der beste würde idealerweise so gut zu einem Film passen, dass man ihn gar nicht bemerke, das war die Quintessenz seiner Erfahrungen.
Zurück in die aktuelle deutsche, beziehungsweise bayerische Wirklichkeit brachte die filmtonart-Besucher ein Werkstattgespräch zwischen Hans P. Ströer („Die Manns“, „Buddenbrooks“, „Speer und er“) und dem Musikjournalisten Michael Loesl. Über sein Leben als Grenzgänger zwischen Jazz, Pop und Filmmusik berichtete der sympathische Künstler anhand von Anekdoten, Filmausschnitten und Musikbeispielen und gewährte einen tiefen Insiderblick in die Werkstatt heutiger Filmmusikproduktionen „zwischen Auftragskunst und Dienstleistung“. Zwölf Alben produzierte Ströer zusammen mit seinem Bruder Ernst für Poplegende Udo Lindenberg, der sich sogar einmal mit einer extra angefordertem Limousine samt Champagner in das ländliche Studio der Brüder in der Nähe von München kutschieren ließ. Nach 30 Minuten war der Besuch jedoch vorbei, länger halte er, also Udo, es nicht aus auf dem Land. Marlene Dietrich, die damals schon ihre Wohnung in Paris nicht mehr verließ, steuerte Wortbeiträge zur 1987 erschienen Lindenberg-Platte „Hermine“ bei, die unter anderem Songs von Friedrich Hollaender enthielt, die die Dietrich selber gesungen hatte. Dazu wurde ihr eine Kassette und ihr Honorar in den Briefschlitz geworfen, sie besprach sie, anschließend wurde sie unter der Tür wieder hinausgeschoben und unter höchsten Sichervorkehrungen nach Berlin transportiert. Es waren die letzten Tonaufnahmen der Diva vor ihrem Tod 1992.
Weniger amüsant sei die Auftragslage, beziehungsweise die Bedingungen, unter der Filmmusikkomponisten heute oftmals arbeiten müssten. Sehr oft würde man am Ende einer Produktion mit dem fertigen Film konfrontiert, der bereits mit so genannten „Temp Tracks“ versehen sei. Das heißt, dass bestimmte Szenen mit bereits existierenden Filmmusiktracks bekannter Größen wie Hans Zimmer unterlegt seien, Aufgabe des Komponisten ist es dann, etwas zu komponieren, das in etwas so klingen soll - oder möglichst genauso… Idealerweise möchte Ströer, für den Musik wie „eine Mutter“ ist, zu der er sich immer flüchten könne, aber dem Regisseur durch seine Musik etwas im Film zeigen, das er vorher noch nicht erkannt habe.
Sämtliche weitere Panels und Gespräche werden demnächst als Podcast unter www.br.de/filmtonart zur Verfügung gestellt werden.