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Zwischen Leidplanke und Neonscheiterhaufen: Donizettis „Dom Sébastien“ in Nürnberg. Foto: Ludwig Olah
Zwischen Leidplanke und Neonscheiterhaufen: Donizettis „Dom Sébastien“ in Nürnberg. Foto: Ludwig Olah
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Musikalisch rehabilitiert, szenisch verschenkt: Donizettis „Dom Sébastien“ in Nürnberg

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Trotz mancher Erfolgsstücke hat es die französische „Grand Opéra“ in Deutschland traditionell schwer gehabt. Mit Wagner als Gewährsmann konnte man getrost an den Monumentalschinken eines Meyerbeer oder Halévy herumnörgeln. Entsprechend selten stehen sie bis heute auf den Spielplänen, was ein Überprüfen der ererbten Werturteile erschwert.

Ein doppelter Glücksfall ist es deshalb, dass Nürnbergs Intendant Peter Theiler (schon die beachtliche Spielzeiteröffnung mit Berlioz’ „Benvenuto Cellini“ brach eine Lanze fürs französische Repertoire) mit der deutschen Erstaufführung von Gaetano Donizettis letzter Oper in der französischen Originalfassung wahrhaft Pionierarbeit leistete.

Dass sich die Mühe gelohnt hat, war allein schon an der Publikumsreaktion auf die musikalischen Leistungen des Premierenabends zu erkennen. Donizetti ist mit „Dom Sébastien“ eine gediegene, phasenweise gar kühne Synthese der italienischen Belcanto-Tradition mit der großen französischen Oper gelungen. Herrlichen Solo-, Duo- und Ensemblesätzen stehen beeindruckende Chortableaus gegenüber; mit markantem Farbauftrag aus der Klangpalette wechselt Donizetti blitzschnell die Stimmungen, lässt aus dem düsteren Grundton des Werkes immer wieder Hoffnungsmomente jenseits der Abgründe von Krieg und Politik aufscheinen. Dem exzellenten Chor des Staatstheaters und den hervorragend disponierten Nürnberger Philharmonikern gelang unter Christoph Gedscholds souverän zusammenfassender Leitung ein beeindruckendes Plädoyer für diese Musik.

Gewiss, es besteht die Gefahr, sich von der Effektivität – man könnte boshaft auch von „Machart“ sprechen – der Partitur einlullen zu lassen, es sich im wohligen Schauer der Gefühlswechsel allzu gemütlich zu machen. Der eine oder andere Fingerzeig der Inszenierung hätte aber wohl genügt, ein wenig Distanz zu der historisch fragwürdigen Heldenverehrung des sagenumwobenen portugiesischen Königs herzustellen.

Regisseur David Hermann hatte aber ganz offenbar große Angst hier auch nur irgendetwas dem Zufall oder gar der Fantasie der Zuschauer zu überlassen. So stellt er ein Personal von Witzfiguren auf die Bühne, um von vorneherein jede historische oder emotionale Identifikation im Keim zu ersticken. Im Ausfahrtbereich eines Parkhauses (Bühnenbild: Christof Hetzer) ziehen die Portugiesen mit Mineralwasserflaschen fuchtelnd in den Marokko-Kreuzzug (Evian ergibt rückwärts gelesen „naive“, wie eine aufmerksame Zuschauerin entschlüsselte); der Großinquisitor (mächtig tönend: Nicolai Karnolsky) leidet am Tourette-Syndrom und hält mit einer offenbar geheime Kräfte aussendenden Armprothese die Häretiker in Schach; Nationaldichter Camoens (sich allmählich steigernd: Melih Tepretmez) gibt mit Wandergitarre auf dem Rücken den Hippie-Poeten; der große Dom Sébastien schließlich ist mehr Suppenkasper als tragischer Held (Tenor Christopher Lincoln kämpfte wacker gegen eine pollenbedingte Indisposition). Im Liebesduett mit der für ihn sich opfernden Zayda (Veronica Simeoni mit überragend kontrollierter Dramatik) soll die Musik anscheinend als Herzschmerzschunkelgedudel entlarvt werden: danke für die Belehrung!

Andererseits gelingen Hermann und Hetzer aber auch eindrückliche Bilder: Wenn Camoens für den grenzdebilen König die Konsequenzen seines Feldzugs vorausahnt, tastet ein bühnenfüllender Scanner ein martialisch-brutales Comicgemälde ab, und das Strafgericht der Inquisition errichtet den Delinquenten einen kalten Scheiterhaufen aus Neonröhren. Andere visuelle Eingebungen werden durch die Regie dann aber wieder ad absurdum geführt: Auf dem in eine riesige Flagge gewickelt aus dem Schnürboden herabgelassenen Schlachtfeld wirft Araberchef Abayaldos (großartig: Bastiaan Everink) mit Gummigliedmaßen und -köpfen um sich. Mit ähnlichem Slapstick-Unsinn wird der zunächst gespenstisch choreografierte Leichenzug im dritten Akt destruiert.

Das alles sind natürlich legitime Mittel einer kritischen, handwerklich niveauvollen Regiehandschrift, warum man aber ein der Wiederbelebung würdig erachtetes Werk gleich wieder in Grund und Boden inszenieren muss, bleibt rätselhaft. Ovationen für Sänger und Musiker, Buhstürme – mit herzlichen Attributen wie „Schwachsinn“ oder „Pfuscher“ garniert – für die Regie.

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