Alle zwei Jahre findet dieses Festival der Superlative zu Ehren des größten Rumänischen Komponisten George Enescu in Bukarest statt. Enescu wurde am 19. August 1881 in Livni Virnav geboren, heute ist der Ort nach ihm benannt. Er starb am 4. Mai 1955 in Paris, drei Jahre später fand das erste, ihm gewidmete Festival in Bukarest statt.
Enescus sinfonische Werke, seine Kammermusik, die einzige, bis heute bedeutendste Oper des Landes, „Oedipe“, von 1936, finden sich im reichhaltigen Programm, das in diesem Jahr natürlich aus gegebenem Anlass auch Richard Wagner, Giuseppe Verdi und Benjamin Britten gewidmet ist. Das Festival umspannt den ganzen Monat September. Das Programm beginnt an jedem Tag mit Konzerten am Vormittag und geht an den Wochenenden mit den beliebten Mitternachtskonzerten im historischen Konzertsaal zu Ende, dem 1888 zunächst als Varieté-Theater errichteten Athenaeum, in dem auch Enescu seine Werke dirigierte oder als weltberühmter Violinvirtuose spielte.
Für die Festivalpremiere der Nationaloper hat Vera Nemirova Verdis „Otello“ inszeniert. Fast konventionell wird die Geschichte in Arrangements erzählt, die denen der im Foyer ausgestellten Fotos von Aufführungen der 60er Jahre mitunter gleichen. Nemirovas Aktualisierung besteht darin, dass sich zugleich mit Otellos sieghafter Ankunft in Zypern ein Flüchtlingsdrama abspielt und Jago mit militanter Gewalt gegen die gestrandeten Menschen vorgeht. Otello ist der Politiker mit Herz, stärker noch Desdemona, die wie einst Lady Diana hingebungsvoll frisches Wasser und Hilfsmittel verteilt.
So flattert das berühmte Taschentuch vom Himmel, das Eifersuchtsdrama nimmt seinen Lauf, Realpolitiker Jago hilft für jedermann offensichtlich nach, nur Otello nimmt nicht wahr, dass seine menschliche Schwäche ausgenutzt wird, ein politisches Ziel zu verfolgen. Otello ist kein fremder, schwarzer Mann, er ist der schwarze Peter in diesem Ränkespiel, bei dem Kalkül und weiße Westen das abgrundtiefe Schwarz der Seelen verbergen.
Mit vorantreibender Dramatik sorgt die Dirigentin Keri-Lynn Wilsen für musikalische Spannung. Verdis Schmettern wird mit Lust musiziert, an zarten, verinnerlichten Szenen fehlt es nicht. Das Böse siegt in dieser Opernwelt und der Böse trägt auch gesanglich den Sieg davon, Stefan Ignat als Jago.
Wagners Ring wird erstmals nach 60 Jahren wieder in Bukarest zu erleben sein in einer konzertanten Aufführung des Rundfunksinfonieorchesters Berlin unter der Leitung von Marek Janowski. Verdis „Messa da Requiem“ erklingt in einer Aufführung der Academia di Santa Cecilia aus Rom unter Antonio Pappano.
Die Abende sind den Gastspielen der großen Orchester mit exzellenten Solisten und namhaften Dirigenten vorbehalten. Zu Gast in diesem Jahr u.a. Staatskapelle Berlin, London Philharmonic Orchestra, Münchner Philharmoniker, Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam oder The Royal Philharmonic Orchestra. Unter der so charismatischen wie temperamentvollen Leitung von Paavo Järvi brachte das Orchestre de Paris französische Grüße in das einstige Paris des Ostens mit Werken von Berlioz und Saint-Saëns, begeisterte mit der ersten Sinfonie von George Enescu und vor allem mit der Solistin Vilde Frang in Benjamin Brittens Konzert für Violine und Orchester. Dirigent, Solistin und Orchester wissen bestens um die Unterschied zwischen Melancholie und Sentimentalität. Ersterer geben sie berührenden Klang, letzterer verfallen sie nicht.
Tagsüber kann man sich an unterschiedlichen Orten Eindrücke von der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts in Rumänien verschaffen, in kompositorischen Kontexten anderer Länder.
Starke Eindrücke hinterließ das Konzert des Minguet Quartetts, zusammen mit der Sopranistin Sarah Maria Sun und Jörg Widman, der nicht als Komponist, sondern als Solist in einem Werk Wolfgang Rihms für Klarinette und Streichquartett von 2003 zu erlebn war. Für Sopran und Quartett hat Peter Ruzicka auf einen Text von Hölderlin das Werk „Erinnerung und Vergessen“ 2008 geschrieben. Das jüngste Werk, „Innenräume, Verwebungen“ von 2012, stammt von Gabriel Iranyi aus Bukarest. Bei aller Unterschiedlichkeit faszinierte die Weite der Emotionen bei der immer wieder ebenso überraschenden wie verblüffenden Ausweitung klanglicher Möglichkeiten im kammermusikalischen Rahmen.
Wer den Tag so konzentriert beginnt, gibt sich am Nachmittag gerne den romantischen Klängen der Kammermusik mit den exzellenten Musikern des Tammuz-Quartetts hing. Auf dem Programm standen Klavierquartette vom weniger bekannten Österreicher Robert Fuchs, von Gabriele Fauré und von George Enescu, dessen zweites Klavierquartett sich als feinsinniges Werk leiser Wehmut in der Rückschau erwies, Abschied von der Romantik, suchende Klangideen voller Zukunftsahnungen.
Nach vier Tagen geht für mich das Enescu Festival in Bukarest zu Ende, der Abschied könnte grandioser nicht sein. Noch einmal leuchten die Sterne am musikalischen Himmel in einem fulminanten Fest in einem Mitternachtskonzert, bis in die ersten Stunden des neuen Tages. Armonia Atena unter der Leitung von George Petrou präsentiert den griechischen Beitrag zur europäischen Barockmusik. Auf dem Programm Georg Friedrich Händels Oper „Alessandro“, jenes Duell mit den fein geschliffenen Waffen der Gesangskunst zweier Primadonnen um den sagenhaften Feldherrn. Waren es zur Uraufführung 1726 die Primadonnen Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni und der Altkastrat Senesio, so sind es hier im Bukarester Athenaeum Julia Lezhneva als Rossana, Laura Aikin als Lisaura und Max Emanuel Cencic in der Titelpartie. Unglaublich, wenn die 23-jährige Lezhneva kurz vor halb zwei in der Nacht mit einem Lächeln ihre perlenden Koloraturen singt, wenn Cencic zum Finale ansetzt und in seiner Arie „Prove sono di grandezza“ das Wort nicht nur benutzt sondern eben auch in seiner so charaktervollen wie immer wieder humorvollen Art mit Grandezza singt.