Die Anfänge der Oper in der Florentiner Camerata sind relativ gut erforscht und von Liebhabern und Spezialisten der „Alten Musik“ rekonstruiert und aufgeführt worden. Auch die damalige geistliche Musik wollte von den Errungenschaften des musikalischen Dramas profitieren: dessen emotionale Wirkung sollte speziell für die Gegenreformation genutzt werden. Genau dafür hat der zwischen Florenz und Rom pendelnde Emilio de Cavalieri seine „Rappresentazione di Anima e di Corpo“ geschrieben, die 1600 in einer römischen Kirche uraufgeführt wurde: Seele und Körper fragen nach dem „richtigen Leben“ – denn einerseits verfliegt die Zeit, andererseits locken in der Welt Lust und Gold und Ruhm und Macht, allessamt „vanitas vanitatum“ aus christlicher Sicht.
Bei weltlichen „Rappresentationes“ wurden die Akte der Haupthandlung durch „Intermedien“ gefüllt: klein beginnende, dann immer größer werdende Zwischenspiele, die nicht die Umbaupausen des bühnentechnisch enorm aufwändigen Barocktheaters füllten, sondern oft auch die seriöse Handlung kontrastierten, verspotteten oder trivial ergänzten.
Frankfurts künstlerische Opernleitung wollte auch bei Cavalieri eine derartige „Komplettierung“ wagen. Der 1971 geborene Klaus Lang bekam den Auftrag, rein musikalische „intermediale“ Ergänzungen zu komponieren. Sein vierteiliger „fulgur harmoniae“ leitet ein, verbindet die drei Akte Cavalieris zum gleichsam „durchkomponierten“ Musikdrama und lässt in einem Nachspiel das Werk ausklingen. Mit der ihm eigenen Sensibilität ging Lang erfreulicherweise nicht auf einen egoistischen Profilierungstrip. Moderne Streicher in Kammerbesetzung, Blockflöte, drei historische Posaunen und im Mittelteil auch Vokalisen menschlicher Stimmen wirken in zart schwebenden Klangschichten zusammen und gehen über eine diatonische Skala auf „G“ nicht hinaus.
Am gelungensten wirkte die Einleitung, die wie Wagners „Rheingold“-Vorspiel aus dem dunklen Nichts im bestens geeigneten hölzernen Hallenraum des Bockenheimer Depots eine Welt Klang werden ließ, die dann das „Orchestre Atlante“ auf historischen Instrumenten mit Cavalieris zupackend dramatischer Bühnenmusik ins Zentrum rückte. Die beiden acht bis zehn Minuten langen Zwischenspiele überzeugten weniger musikalisch als durch ihre Realisierung: sie kamen aus je drei seitlich neben der Zuschauertribüne postierten schwarzen Tuchtürmen und erzeugten einen faszinierenden „Surround-Sound“. Langs Nachspiel wirkte leider nur blass und zu lang.
Für Cavalieris Ringen um den rechten Lebensweg hatte Ausstatterin Claudia Doderer hinter dem Orchestre Atlante einen quer verlaufenden, schwarzen Bühnensteg, dahinter eine halbrunde Schräge, einen verdeckten Gang und eine sich mehrfach öffnende „antikisierende“ Wand bauen lassen: eine Kletter- und Steig-Anforderungen stellende, verquaste Konstruktion. Regisseur Hendrik Müller postierte dann in Nischen hinter der Wand mal Allegorien dreier Todsünden in Renaissance-Kostümen, mal hinter Gaze die singende Seligkeit und nicht aufschlüsselbare Videoprojektionen. Doderer-Müllers Kostüm-Entscheidungen blieben gleichfalls wenig schlüssig.
Umso erfreulicher wirkte die musikalische Umsetzung der frappierend modern wirkenden Frage „Ist das Leben nicht nur verkleideter Tod?“ Dirigent Michael Form ließ mit seinen Instrumentalsolisten die enorme Bandbreite von Cavalieris Klagen, Fragen, Hoffen, Verführung, Zaudern, Verheißung und gläubiger Beschwörung Klang werden. Hier tönten das „Leuchten und Strahlen“, das Klaus Lang mit seinem „fulgur“ eigentlich meinte. Der aus dem Publikum auftretende, später es umtanzende Chor des „Ensemble Barock vokal“ der Hochschule Mainz kommentierte und agierte voller barocker Spielfreude. Das Solistenensemble wechselte durch die Allegorien von „Zeit“, „Gutem Rat“, „Mondänem Leben“, „Welt“, „Vergnügen“, „Verfluchter Seele“, „Echo“, „Intellekt“ oder „Schutzengel“, um dem sinnenverhafteten „Körper“ von Julian Prégardiens jugendlichem Tenor wenigstens eine Ahnung von Erlösung im Jenseits zu vermitteln.
Ganz im Einklang mit ihrer Rolle war die noch im Frankfurter Opernstudio engagierte Kateryna Kasper als „Anima“: ihr hörbar beseelter Sopran bangte und blühte und beschwor etwas von der Utopie möglicher Erlösung – da war eine junge Künstlerin „mit viel Zukunft“ zu entdecken. Zu Recht Bravo-Rufe und rauschender Beifall.