Auf dem Weg vom Hotel zum Festspielhaus begegnet einem die Vergangenheit in Form einer Gedenkplakette. Angebracht an der Kapelle des Hl. Nepomuk erinnert sie an den letzten Besuch des letzten österreichischen Kaiserpaars Karl und Zita in Bregenz; es war im Juni 1917. Da dauerte der erste Weltkrieg, diese Großkatastrophe der Moderne, bereits fast drei Jahre und des Mordens sollte kein Ende sein.
Im Juli 2014, am hundertsten Jahrestag des Kriegsbeginns gedachten die Wiener Symphoniker unter der Leitung ihres neuen Chefs, Philippe Jordan, aller Menschen, denen der Krieg Leid und Elend zufügt, mit einer aufwühlenden Wiedergabe von Benjamin Brittens War Requiem. Dieses Werk wurde 1962 in der neugebauten Kathedrale von Coventry aufgeführt. In Brittens Version des Requiems koppelt der Komponist den lateinischen Messtext mit englischsprachigen Gedichten des wenige Tage vor Ende des ersten Weltkriegs gefallenen Wilfred Owen.
Im Rahmen der Bregenzer Festspiele, im deutsch österreichisch schweizerischen Dreiländereck, war die Aufführung ein Wunsch des scheidenden Intendanten David Pountney. Bedeutete das Konzert der Wiener Symphoniker für den 10 Jahre in Bregenz tätigen Intendanten den Abschluss seiner erfolgreichen künstlerischen Tätigkeit, so war es für den 39-jährigen Schweizer Philippe Jordan der Beginn einer neuen Ära, sein quasi „Inoffizielles Antrittskonzert“, bevor er im September 2014 formal die Leitung des Wiener Klangkörpers übernimmt.
Strukturen erneuern
Dieser zählt neben den Wiener Philharmonikern zu den herausragenden Orchestern Österreichs. Damit dies so bleibt, will das neue Team um den Geschäftsführer Johannes Neubert einige Strukturen der Selbstorganisation runderneuern. Die Wiener Symphoniker und Philippe Jordan kennen sich bereits seit zehn Jahren und so ist es nicht verwunderlich, dass er der Lieblingskandidat des Orchesters in der Nachfolge von Fabio Luisi war. Er ist auch in der über hundertjährigen Geschichte des erste, der in demokratischer Wahl von den Musikern ins Amt berufen wurde.
Das Orchester selbst wird von einem unabhängigen Verein getragen und soll mit dem Antritt des neuen Chefs auch künstlerisch unabhängiger werden. Dazu will man die Kräfte des Wiener Musikvereins, des Konzerthauses und der Symphoniker so bündeln, dass zukünftig die Konzertplanung ganz in den Händen des Orchesters liegt. Um das Profil deutlicher zu schärfen, hat man bereits ein eigenes Plattenlabel gegründet, das die Schätze des Archivs von Einspielungen Carlo Mario Giulinis über Carlos Kleiber bis eben Jordan einem größeren Publikum näher bringen soll.
Die Erfüllung eines langjährigen Traums
Auf die Frage, warum er neben seiner Tätigkeit als Musikdirektor der Pariser Oper auch noch die Leitung der Wiener Symphoniker übernommen hat, kommt Jordan schnell zur Sache. Er habe sich als Operndirigent manchmal nur als halber Musiker gefühlt und sieht in seinen Konzertverpflichtungen mit den Wienern die Erfüllung eines langjährigen Traums.
Dass sich dieser gut anlässt, dafür standen die über 90 Minuten der Britten‘schen Komposition. Die Musiker wurden ergänzt durch den Prager Philharmonischen Chor, den Bregenzer Festspielchor und die Wiltener Sängerknaben. Klang in der vormittäglichen Generalprobe noch so einiges unzusammenhängend, gelang es Jordan in der abendlichen Aufführung die Spannung und Konzentration so weit zu steigern, dass das Publikum am Ende des Konzerts über eine Minute andachtsvolles Stillschweigen bewahrte. Unter den Solisten gilt es besonders den englischen Tenor Allan Clayton hervorzuheben, der durch sensible Stimmführung den kammermusikalischen Gestus des Werkes anschaulich vermittelte, während Aksana Dyka (Sopran) und Michael Volle (Bariton) mehr auf die Dynamik und Leuchtkraft ihrer Stimmen setzten.