Zum Rentenalter noch Trompete oder Tuba lernen? Vielen Musikvereinen fehlen Mitglieder, deshalb will ihr Verband neben dem Nachwuchs auch mehr ältere Menschen fürs gemeinsame Musizieren begeistern.
Gemeinsam musizieren oder singen in Spielmannszug, Chor oder Orchester - das war jahrzehntelang fester Bestandteil des Vereinslebens vieler Städte und Gemeinden in Hessen. Doch die Zukunftssorgen vieler Vereine sind groß, wie der Hessische Musikverband beklagt. Rückläufige Mitgliederzahlen, fehlende Probenräume und weniger Menschen, die zur Mitarbeit in Vorständen bereit sind - die Probleme sind vielfältig. Mit Ideen will der Verband nun gegensteuern - und hat dabei auch eine neue Zielgruppe im Auge.
Eine kürzlich veröffentlichte Umfrage unter den 300 zum Verband gehörenden Musikvereinen ergab, dass 43 Prozent von ihnen wegen fehlender Musiker nicht mehr eigenständig spielfähig und auf externe Unterstützung angewiesen seien. Ob Schlagzeug, Tuba oder Dirigent - bestimmte Positionen im Orchester müssen besetzt sein, sonst sei an Auftritte nicht zu denken, sagt Verbandspräsidentin Stefanie Klee, die auch CDU-Landtagsabgeordnete ist und selbst Klarinette und Saxofon spielt.
Vereinsfusionen und Musikerbörsen könnten helfen
Damit sich bei Lücken nicht gleich ganze Orchester auflösen müssen, könnten etwa Musikerbörsen ins Leben gerufen werden, über die sich Vereine bei Bedarf gegenseitig mit geeignetem Personal aushelfen, sagt Klee. Auch durch Zusammenschlüsse könnten Vereine ihre Kräfte bündeln.
Die Gründe für den Mitgliederschwund sieht die Verbandspräsidentin in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, nicht zuletzt seit der Corona-Pandemie: Weniger Menschen seien heute bereit, sich für Jahre beispielsweise auf wöchentliche Probentermine und regelmäßige Mitwirkung bei Veranstaltungen festzulegen. Wer aber erst einmal aus der Musik aussteige und nicht mehr regelmäßig übe, finde - wenn überhaupt - oft nur mit Mühe einen Wiedereinstieg.
Intensive Nachwuchsarbeit nötig
Gerade bei jungen Menschen kommen solche Abbrüche häufig vor: Mit der Pubertät ändern sich die Freizeitinteressen, teils gehen Verpflichtungen in Schule oder Ausbildung vor und die jungen Leute kehren den Vereinen den Rücken. Aktuell sind nur noch gut 20 Prozent der Vereinsmitglieder nach Verbandsangaben unter 18 Jahre, 2019 waren es noch fast 25 Prozent.
Intensive Nachwuchsarbeit ist deshalb wichtig, wie man etwa beim Blasorchester Nidderau (Bon) weiß: Zuständig dafür ist Jugendleiterin Yvonne Staubach, die ein vielfältiges Programm für die Kinder und Jugendlichen organisiert - vom gemeinsamen Proben-Wochenende übers Plätzchenbacken bis zur Halloween-Party.
Die Jüngsten starten mit Blockflöte
Ihre ersten musikalischen Schritte machen die Jüngsten beim Bon meist in einer der drei Blockflöten-Gruppen des Vereins, danach können sie sich für ihr eigenes Instrument entscheiden. Das Hauptorchester ist altersgemischt mit rund 40 Musikerinnen und Musikern zwischen 16 und 85 Jahren. Gerade davon lebe das Bon, sagt Winfried Luig, erster Vorsitzender des Vereins.
Auch er hat festgestellt, dass es schwieriger geworden ist, junge Leute für feste Termine und die Mitarbeit bei Vereinsaktivitäten zu gewinnen. Dass zudem die Aufmerksamkeitsspanne bei Vielen geringer geworden sei, zeige sich daran, dass auch während einer 45-minütigen Übungsstunde der Blick immer wieder zum Smartphone statt aufs Notenblatt gehe.
Trotzdem seien die jungen Leute ein großer Gewinn - ihren Interessen komme man auch beim Repertoire entgegen, indem auch aktuelle Musik gespielt werde - etwa der Titel «Havana» der kubanisch-amerikanischen Sängerin Camila Cabello in einer für Blasorchester adaptierten Version, versteht sich.
Comeback der Blasmusik
Ohnehin kann sich Blasmusik nicht über mangelnden Zuspruch junger Menschen beklagen, sagt Klee, und verweist auf Bands wie MaddaBrassKa und die Schweizer Formation Fäaschtbänkler, die im jüngeren Publikum viele Fans hat. Um die Nachwuchsarbeit der Vereine und Orchester noch stärker zu fördern, will Klee Vereine und Schulen stärker zusammenbringen. Möglich seien Instrumentalangebote der Vereine im Rahmen von Ganztagsschulen. Hinzu komme die Initiative der Landesregierung für den Blockflötenunterricht, die teils auch belächelt worden war. CDU-Abgeordnete Klee findet positiv, dass über die Initiative mehr Kinder ans Musizieren herangeführt werden können.
Ältere Menschen als Zielgruppe
Die Mitgliederwerbung sollte aber aus Sicht der Verbandspräsidentin darüber hinausgehen. Viel Potenzial sieht sie in der Generation der Babyboomer, die jetzt vor dem Eintritt ins Rentenalter stehe: Man wolle bei den Vereinen dafür werben, ehemalige Musiker zu animieren, ihr Können wiederzubeleben und auch älteren Anfängern Unterricht anzubieten. Dafür plane der Verband auch eine Kampagne.
Und auch für den Mangel an geeigneten Probenräumen hat Klee Ideen. Dafür seien Gespräche mit Kommunen, aber auch Beratung für Musikvereine nötig, denn manchmal könnten Räume schon mit relativ einfachen Mitteln wie mobilen Akustikwänden so umgestaltet werden, dass sie als Probenräume nutzbar sind.
Ganz grundsätzlich gehe es ihr darum, ein Bewusstsein für den Wert der Musikvereine als Kulturgut zu schaffen. Das Besondere an ihnen sei, dass darin alle Generationen gemeinsam etwas erschaffen - und auch zusammen Spaß haben können.
Hessischer Musikverband
Dem Hessischen Musikverband gehören insgesamt 340 Musikvereine im Bundesland mit 15.000 aktiven Musikerinnen und Musikern an. Der Verband versteht sich als größte Interessenvertretung für Blas- und Spielleute in Hessen und setzt sich für die Vielfalt der hessischen Orchesterlandschaft ein.
Zu den Mitgliedern zählen Blasorchester ebenso wie Spielmannszüge, Fanfarenzüge, gemischte Züge, Schalmeienkorps, Drum- und Marching Bands sowie Bigbands. Auch Jagdhornbläser und Musikzüge sind in dem Verband organisiert. Neben selbstständigen Musikvereinen gehören dem Verband auch Musikabteilungen von Vereinen und Verbänden an wie etwa von Feuerwehr- und Gesangvereinen, Heimatvereinen, Jagdgenossenschaften oder Karnevalsvereinen.