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Boten eine aufsässige und atemlose Aufführung von Mozarts „Le Nozze di Figaro“: „Le Cercle de l'Harmonie“. Foto: Alix Laveau
Boten eine aufsässige und atemlose Aufführung von Mozarts „Le Nozze di Figaro“: „Le Cercle de l'Harmonie“. Foto: Alix Laveau
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Musikfest für alle? Neue Konzepte locken ein immer neues Publikum in Bremen und im Umland

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Vor einer Woche ging das 23. Musikfest Bremen mit einem Konzert zu Ende, das man gut und gerne mit dem Öffnen einer finalen Magnum-Champagner-Flasche vergleichen kann: mit der Offenbach-Gala durch die „Les Musiciens de Louvre-Grenoble“ unter der Leitung von Marc Minkowski. Man fragt sich immer, wie Minkowski das macht, so viel Ironie und Selbstironie in den stets enorm schwungvollen Ton hineinfließen zu lassen, jedenfalls ist er einer der besten Offenbach-Dirigenten, wenn nicht der beste. Das Konzert beschloss das diesjährige Festival mit 34 Veranstaltungen in Bremen und im Umland, das sich konzeptionell immer mehr in neue Programmkonzepte und neue Präsentationen bewegt.

Highlights waren ganz sicher Wolfgang Amadeus Mozarts „Le Nozze di Figaro“ mit „Le Cercle de l'Harmonie“ unter der inspirierenden Leitung von Jérémie Rhorer: so aufsässig und atemlos hat man diese Musik noch kaum je gehört. „Konzertant“ hieß es, aber da tobte jeder Sänger nach eigenem Geschmack auf der Bühne herum. Mozart kann man nicht konzertant machen, andererseits war die Aufführung musikalisch derartig gut und richtungsweisend, dass es richtig war, sie – eine Kooperation mit dem Festival d'Aix-en-provence – vorzustellen.

Aus den klassischen Produktionen ragten noch hervor: der Liederabend der Glockenstimme von Mojca Erdmann mit dem Harfenisten Xavier de Maistre, die Urfassung des Händelschen „Messiah“ mit dem Dunedin Consort, die phänomenale Aufführung der „Missa solemnis“ von Ludwig van Beethoven unter der (auswendigen!) Leitung des 86-jährigen Herbert Blomstedt mit der deutschen Kammerphilharmonie und dem bayerischen Rundfunkchor. Das Oratorium „Maddalena ai piedi di Cristo“ von Antonio Caldara ist ein musikhistorisches Juwel aus der Frühzeit der opera seria – mit glänzenden Da-Capo-Arien und dramatischen Instrumentationen: bestens aufgehoben bei der Accademia Bizantina unter der Leitung von Ottavio Dantone.

34 Konzerte: da gelingt es kaum, einzelne SängerInnen und Instrumentalisten nennen zu können, Aber hier muss eine genannt werden: Maria Grazia Schiavo – sensationell ihre expressive Legatokultur. Von der hat Rolando Villazón leider zu wenig, an seinem Abend mit Konzertarien von Mozart musste er mehr auf überstarke Bühnenpräsenz setzen. Und Garry Magee als Monteverdis Orfeo in einer großartigen Aufführung durch „Les Talens Lyriques“ unter Christophe Rousset ist hier unvergesslich. Jede Nennung ist eine Ungerechtigkeit gegenüber anderen, so hoch ist das Niveau des Musikfestes, und stets – und das ist vor allem bedeutend – die Spitze neuer und neuester Interpretationen. Hier darf sich auch die Wiedergabe der Bremer Philharmoniker unter Markus Poschner mit dem konzertanten ersten Akt der „Walküre“ durchaus einreihen.

Intendant Thomas Albert hat seine Idee, mit besonderen Reihen innerhalb des Musikfestes originelle Speerspitzen zu präsentieren, ausgeweitet. Neben „Musik Surprise“, das ganz junge Musiker auf ungewöhnlichen Wegen der Begegnung zwischen Alt und Neu begleitet, gibt es nun die „Galeriekonzerte“ in der Kunsthalle, die in den entsprechenden Maler-Räumen entsprechende zwei Konzertteile bringen: so war das Boreas Quartett mit seinen Flöten mit Renaissancemusik im Saal der niederländischen Maler zu Gast und dann der Cellist Gavriel Lipkind im Cage-Raum mit zeitgenössischer Musik. Nicht vergessen werden dürfen auch die vielen Konzerte, in denen wir kreativen Grenzgängern begegnet sind: wieder einmal sensationell Kristjan Järvi mit seinem Absolute Ensemble New York, Christina Pluhar, die mit ihrem Renaissance-Ensemble „L'Arpeggiata“ südamerikanische Musik abfeuerte, oder auch das Aurora-Orchester, das Klassik mit Tango kreuzte oder auch den Jazz aus Israel mit dem atemberaubenden Mandolinenspieler Avi Avital.

Wieder ist das Musikfest breit im Umland vertreten und zunehmend bestens angenommen. Ein Shuttle-Bus bringt viele Bremer dorthin, wo die berühmten Orgeln von Arp Schnitger stehen. Künstler aus der ganzen Welt kommen und kamen schon immer hierher. Nun wurden wieder in vielen Konzerten und vor allem in dem zum zweiten Mal durchgeführten Orgelwettbewerb die Instrumente von Arp Schnitger (1648–1719), dem „Stradivari unter den Orgelbauern, den Rembrandt unserer Nordwestregion“ (Albert), gewürdigt.

Wenn der Eindruck nicht täuscht, ist es mit dieser inzwischen sehr konsequnten Ausweitung des Konzeptes auch gelungen, ganz anderes Publikum anzusprechen und zu erreichen. Eine Perspektive, die Mut und neugierig macht. Musikfest für alle: nur die Eintrittspreise machen da noch nicht mit, können es auch nicht, denn die Etatkürzungsnotwendigkeiten treffen natürlich auch das Musikfest schmerzhaft.

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