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Aus dem Programmheft zur Uraufführung von „Solo Univers 1-5“
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Mut zur Utopie - Johannes Wallmanns SOLO-UNIVERS in Berlin uraufgeführt

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Manchmal wollen Komponisten mehr sein als Komponisten. Dann beginnen sie, einem die Welt zu erklären. Die prominentesten Beispiele für angemaßte Totalkompetenz sind Richard Wagner und Karlheinz Stockhausen. Auf den ersten Blick könnte der 1952 geborene Johannes Wallmann einer von ihnen sein.

Er hat ein Buch geschrieben, das unter dem Titel "Integrale Moderne" die großen Fragen der Menschheit behandelt und entwirft, welche Rolle die Kunst spielen könnte bei ihrer Rettung vor den selbstgemachten Untergangsgefahren. Die integrale Moderne will dennoch keine Privatmythologie sein und ihr Verfasser kein Guru wie Wagner oder Stockhausen, sondern ein Entwurf, an dem weitergearbeitet werden soll.

Wallmann strebt daher auch nicht nach Festspielhäusern und Kugelauditorien, sondern ins Offene. Parks hat er beschallt und Dome, ganz Dresden hat er zum Läuten gebracht und Helgoland in eine riesige Orgel verwandelt. Die Einbeziehung des Raumes ist seine Domäne, und auch Wallmanns neuestes Werk, das am Donnerstag (28.10.) von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Leitung von Franck Ollu uraufgeführt wurde, ist Raummusik. "Solo Univers 1-5" heißt der Zyklus von fünf Konzerten für Bläser und Orchester, in dem die Klänge von den Emporen und Gängen des Kammermusiksaals den Solisten umkreisen. Die Solo-Instrumente, gespielt von hochkarätigen Solisten wie Stefan Dohr (Horn) oder Ib Hausmann (Klarinette), sind dabei nie allein, sondern stets im Raum verdreifacht, ihre Stimme wird in differenzierten Echos gebrochen.

Wer auf Wallmanns Einladung nach jedem Konzert den Sitzplatz wechselte, konnte den Klang immer wieder aus anderer Perspektive wahrnehmen, mal umhüllend, mal aus zwei Richtungen strahlend, mal frontal. Räumliche Wirkungen bestimmen die Komposition recht weitgehend, ihre meist gemächliche, mit reichlich Wiederholungen versehene Gangart bildet nach, wie der Klang durch den Raum wandert, gibt dem Hörer Gelegenheit, ihn genau zu untersuchen. Die Musik ist, bei Vermeidung traditioneller Formen, von anrührender, neu entdeckter Schönheit, auch wenn sie verfremdete Farben souverän in ihre Sprache integriert.

Interessant ist nicht zuletzt, wie "Solo Univers 1-5" als großer, freier Variationszyklus funktioniert, in dem jedes einzelne Konzert vor dem Universum der anderen steht. Das auf weite Strecken gleiche Material vom Zwölftonakkord bis zu diatonischen Konstellationen färbt Wallmann mal elegisch (Oboenkonzert), mal geheimnisvoll (Fagottkonzert), mal bukolisch (Klarinettenkonzert). Das vierte Konzert entwickelt mit einfachen Mitteln düstere Dramatik mit dem solistischen Horn als Todesboten und im Flötenkonzert an letzter Stelle fliegt die Musik mutig und anmutig zugleich auseinander. Selbst die sechs Blechbläser des Orchesters, die gerne einen drohenden Choralton anklingen ließen, werden leicht. Wallmanns Musik ist von verführendem Wohlklang, in ihrer Verknüpfung von Raum, Klang und Ausdruck scheint sie Vorklang einer in der Welt noch nicht realisierten Harmonie zu sein. In diesem Mut zur Utopie liegt ihre eigentümlich zarte Kraft.

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