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Lyrisch, hochdramatisch, textverständlich: Lance Ryan als Siegfried an der Münchner Staatsoper: Foto: Wilfried Hösl
Lyrisch, hochdramatisch, textverständlich: Lance Ryan als Siegfried an der Münchner Staatsoper: Foto: Wilfried Hösl
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Muttersöhnchen im Märchenwald: Kriegenburg deutet „Siegfried“ in München als Bildergeschichte für Erwachsene

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Gespannt wartete man unter den Münchener Wagnerfreunden, wie Andreas Kriegenburg und seine Team ihre Ringerzählung im „Siegfried“ fortsetzen würden. Ist dieser Zweite Tag des Nibelungenrings doch seit jeher etwas Besonderes und Schwieriges in der Abfolge der Tetralogie. Das beginnt schon bei Wagner, der zwischen dem zweiten und dritten Akt eine zwölfjährige Pause eingelegt und so gewichtige Opern wie Meistersinger und Tristan komponiert hatte. Und ob er wirklich Recht behalten hatte mit seiner Einschätzung, der junge Siegfried werde sein populärstes Werk, mag man füglich bezweifeln.

Populär will auch Kriegenburg sein und so setzt er gemeinsam mit seinen Ausstattern Harald B. Thor (Bühne) und Andrea Schraad (Kostüme) vor allem im ersten Aufzug in Mimes Schmiede, auf eine naive Bildsprache, die in manchen Momenten an die Bildlichkeit des großen französischen Naiven Henri Rousseau erinnert. Noch mehr in die Handlung einbezogen als in „Rheingold“ und „Walküre“ ist die deshalb eigens zu erwähnende Statisterie der Bayerischen  Staatsoper in der Choreographie von Zenta Haerter.

Neben den vom Komponisten vorgesehenen Charakteren bestimmen sie als Komparsen eines groß angelegten Puppenspiels gleichberechtigt das Bühnengeschehen Siegfried. Das dramaturgische Scherzo des Rings wird als Bildergeschichte für Erwachsene erzählt. Da darf gefeixt und im Publikum auch schon mal gelacht werden, bekommt man große Augen, wenn in blitzschnellen Verwandlungen Siegfrieds Geburt auf der Bühne als Puppenspiel gegeben wird.

Vor allem im ersten und zweiten Akt ist das Konzept des Regieteams stimmig, gelingen die Erzählstrukturen besser als in der Walküre. Überwältigend ist vor allem die Wucht der erfundenen Bilder: das Licht (Stefan Bollinger) ist ein prägender Bestandteil der Kriegenburgschen Erzählweise und unterstreicht das poppig bebilderte Spiel.

Kriegenburg versteht Siegfried als „Coming of Age“-Geschichte eines Findelkindes, das erst in den letzten Minuten der Oper erwachsen wird. Und so ist auch das Zusammentreffen mit Brünnhilde, das lange und langsame aufeinander Zugehen am spannendsten inszeniert. Dieses Wollen und Nicht-Können, die jugendliche Erotik und das Bange-Sein vor dem anderen Geschlecht machen Siegfried erst zu einem sympathischen Helden.

Musikalisch wird der Abend von Lance Ryan (Siegfried) beherrscht, dem es gelingt, Lyrisches und Hochdramatisches gleichberechtigt nebeneinander zu setzen. Obwohl Kanadier, ist er einer der wenigen Wagnersänger der Gegenwart, bei dem man jedes Wort versteht. Doch auch die Brünnhilde von Catherine Naglestad leistet Großartiges mit ihrer strahlenden, doch niemals forcierten Höhe. Tiefschwarz und stimmgewaltig der Alberich Wolfgang Kochs; immer präsent in beeindruckender Form auch Thomas J. Mayer (Der Wanderer) und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Mime). Das Waldvöglein (Anna Virovlansky) erscheint in München im Tütü auf der Bühne und Erda (Jill Grove) rundet die exzellente Sängertruppe ab.

Das Bayerische Staatsorchester unter Kent Nagano ist in bester Spiellaune, immer präzise und durchsichtig klar. Der über weite Strecken kammermusikalische Ton des Siegfried kommt Naganos Wagnerauffassung sehr entgegen und so steigert sich der Applaus der Münchner Publikums im Laufe des Abend in befreiten Jubel, der auch – von wenigen Buhrufen abgesehen – dem Regieteam galt.  In gut vier Wochen muss dann das Meisterstück gelingen, wenn mit der „Götterdämmerung“ das Ende naht.

Weitere Aufführungen: 31.5. und 3.6.


 

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