Die „Kompositionswerkstatt Schloss Weikersheim“, Höhepunkt des von der JMD jährlich durchgeführten „Bundeswettbewerbs Komposition“, hatte im August eine besondere Gastdozentin: Charlotte Seither, die soeben erst bestellte Weikersheimer Stadtkomponistin. Die neue musikzeitung interessierte sich für die spannende Wiederbegegnung der jungen Komponistin mit ihren frühen Wurzeln.
neue musikzeitung: Eine ihrer ersten Aufgaben in Weikersheim war die Mitwirkung bei der Kompositionswerkstatt der JMD. Sie haben vor 20 Jahren selbst einmal daran teilgenommen. Wie war das damals?
Charlotte Seither: Es war eine wichtige Anregung, weil man als komponierendes Kind in der Regel keinen Ansprechpartner hat, an den man sich wenden kann. Ich habe diesen Kursen „Schüler komponieren“, wie sie damals hießen, richtig entgegen gefiebert: Man konnte dort Stücke zeigen, ohne Angst, dass man sich dafür entschuldigen oder rechtfertigen muss oder dass sie als „Ablenkmanöver“ vom Klavier üben eingestuft wurden. Später, als ich sehr guten Klavierunterricht hatte, war es dann selbstverständlich, dass ich dort auch eigene Stücke zeigen und spielen durfte. In der frühen Zeit waren die Weikersheimer Kurse jedoch ein Ventil: Man erstickt als Kind, wenn man sich in seiner kompositorischen Welt nicht einem Gegenüber mitteilen kann.
: Komponieren mit Kindern und Jugendlichen hat nicht den Stellenwert wie der Unterricht in Klavier, Flöte oder Geige... : Das wäre gerade wichtig, weil man in der Schule oder in anderen Arbeitszusammenhängen nur selten Gleichaltrige findet, die sich in der selben Entwicklungssituation befinden. Bei der Weikersheimer Kompositionswerkstatt finden Kinder andere, die Gleiches erleben. Es ist eine wichtige Erfahrung zu spüren, dass man nicht allein ist – auch wenn man dies als Kind nicht immer kommunizieren kann. : Gibt es noch Werke aus der Zeit Ihres Kammermusikkurses oder geben Sie die nicht an die Öffentlichkeit? : Ja, es gibt diese Stücke. Ein Stück heißt „Kleiner, einsamer Nachklang“. Es ist zwar nicht in Weikersheim geschrieben, steht aber im Weikersheimer Arbeitszusammenhang und wird bis heute regelmäßig gespielt. Ich war 1980 in Weikersheim, das Stück entstand 1981. : Wie oft besuchten Sie den Kurs? : Zweimal den Kurs „Schüler komponieren“ sowie einmal den Kurs „Orgel-Improvisation“ bei Theo Brandmüller. Das Improvisieren war mir wichtig, weil man sich hier auch körperlich an der Orgel ausdrücken konnte. Ich habe es stets genossen, diese Kräfte auch im Akt des Musizierens zu verspüren und sie dabei regelrecht aus mir herauszuschleudern. Man macht sich vorab Gedanken über den Aufbau und die Gestalt einer Improvisation, aber im konkreten „In-die-Tasten-greifen“ ist alles doch ganz anders. Das ist etwas Wunderschönes. Ich empfinde bis heute eine große Lust an der freien Improvisation. : Jetzt als Weikersheimer Stadtkomponistin sind sie in die Rolle des Dozenten geschlüpft. Was ist das grundsätzlich andere, wenn man mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam komponieren will, im Gegensatz zu einem „normalen“ Meisterkurs? : Die emotionale Bedürftigkeit dieser Kinder und Jugendlichen ist eine andere, weil viele Male der Zerbrechlichkeiten noch offen liegen. Es geht dabei nicht nur darum, dass man etwas über Instrumentation oder ähnliches lernt – das lernen die Schüler relativ schnell –, sondern ein Gespür dafür zu entwickeln, wo diese Menschen ihre ganz persönliche Innenwelt auffalten, die irgendwann zu ihrer eigenen, musikalischen Sprache wird, sie davor zu schützen, dass nicht irgendeine Kerbe in ihre Zerbrechlichkeiten schlägt. Dass man sieht: Aus diesem Menschen kann irgendwann einmal eine Musik hervorbrechen, von der er selbst noch gar nichts weiß.