Noch unter Christoph Poppen, dem vormaligen Dirigenten des Münchener Kammerorchesters und Initiator der Reihe „Nachtmusik der Moderne“, haben sich die Porträtabende moderner Komponisten in der Rotunde der Pinakothek der Moderne zu einem Publikumsmagneten in der Münchner Konzertlandschaft entwickelt. Auch Poppens Nachfolger am Dirigentenpult des MKO, Alexander Liebreich – sein Vertrag mit dem Orchester wurde kürzlich bis zum Ende der Saison 2013/14 verlängert –, hat an diesen Nachtkonzerten mit Neuer Musik festgehalten.
Zum Glück, denn das von Poppen geprägte und mehrfach preisgekrönte dialogische Verhältnis zwischen Klassischer, Romantischer und Neuer Musik in den Saisonprogrammen des Kammerorchesters ist längst zum Aushängeschild für das Ensemble geworden.
Den Auftakt zur diesjährigen Nachtmusik-Reihe bildete das Porträt des früh verstorbenen kanadischen Komponisten Claude Vivier, von dem György Ligeti sagte, er sei auf dem Gebiet der Verführung, die von der Sinnlichkeit komplexer Klänge ausgehe, der größte Meister gewesen. Ein großes Kompliment von einem ebenfalls großen Meister, der in punkto Sinnlichkeit innerhalb komplexer Klangstrukturen selbst eine Macht darstellte. Das in München präsentierte Œvre Viviers war bedingt durch dessen relativ kurze Schaffensperiode, er wurde mit nur 35 Jahren im Pariser Homosexuellen-Milieu unter mysteriösen Umständen ermordet, zeitlich sehr eng gesteckt und umfasste nur einen Zeitraum von fünf Jahren (1976–81). Als Höhepunkt interpretierte die kanadische Mezzo-Sopranistin Marie-Annick Béliveau als Solistin Viviers Werk „Wo bist du Licht?“. Béliveau hat das 1981 entstandene Stück für Mezzo-Sopran, Percussion, Streicher und Tape bereits 2001 – mit dem Ensemble de la Société de Musique Quebec – für das kanadische Label Atma aufgenommen.
Vivier vertonte darin auf eindringliche Weise Texte aus Hölderlins „Der blinde Sänger“ und Martin Luther Kings „I have a dream“-Rede sowie Texte in einer selbst erfundenen, abstrakten Sprache. Erhellendes über den hierzulande nicht übermäßig bekannten Claude Vivier hatte der Lyriker und Dramatiker Albert Ostermaier im Vorgespräch mit Alexander Liebreich zu sagen. Ostermaier hat das Libretto zu „Sing für mich, Tod“ geschrieben, ein Stück über Viviers Leben unter Verwendung von dessen Musik, das im September bei der Ruhrtriennale 2009 uraufgeführt worden war. Darin interpretiert Ostermaier Viviers Ermordung als inszenierten Freitod eines dem Leben entfremdeten Komponisten mit dem Stricher als Vollstrecker.
Von den drei Nachtmusiken im Saisonprogramm des MKO ist in jedem Jahr ein Abend für einen Klassiker der Moderne reserviert. Nach Benjamin Britten im letzten Jahr hat diesen Platz nun Paul Hindemith inne. Führer einer deutschen Avantgardebewegung, die als Gegenpol zur Zwölftonmusik zwar von Adorno als reaktionär eingestuft wurde, für die Nazis aber immer noch „entartet“ genug war, um als „kulturbolschewistisch“ diffamiert zu werden. Aufgeführt werden beim Porträtkonzert im Juni 2010 Werke, die Hindemith zwischen 1919 und 1940 komponiert hat, darunter „Die 4 Temperamente“ für Klavier und Orchester (1940) und Fünf Sätze op. 44/4 für Streichorchester (1927). Als Solisten spielen die beiden Franzosen Antoine Tamestit (Viola) und Éric Le Sage (Klavier).
Als Vertreter der noch schaffenden zeitgenössischen Komponisten steht im März 2010 der Este Erkki-Sven Tüür auf dem Programm. Das MKO hat in den vergangenen Jahren bereits mehrfach Werke von Tüür aufgeführt, darunter auch einige Ur- und Erstaufführungen, so dass der Schritt zu einem Abend füllenden Porträt kein großer mehr ist. Als Komponist ist Tüür schwer zu kategorisieren, zu breit angelegt sind seine musikalischen Einflüsse, die sich bis in die experimentellen Regionen der Popularmusik hinein ziehen, mit Progressiv-Rock-Anklängen, wie er sie in seinem 2002 komponierten Orchesterwerk „Magma“ verwendete. Für das Komponistenporträt in der Pinakothek der Moderne wurden hauptsächlich Streicherwerke ausgewählt, wie „Insula deserta“ und „Lighthouse“, aber auch ein Solokonzert für ein eher selten im Mittelpunkt stehendes Instrument: Bei „Ardor“, einem Konzert für Marimba und Orchester, wird mit dem international erfolgreichen portugiesischen Schlagzeuger und Marimbaspieler Pedro Carneiro sogar der Widmungsträger des Werks den Solistenpart übernehmen.
Nach dem gelungenen Beginn stehen mit Tüür und Hindemith noch zwei hörenswerte Porträts auf dem Nachtmusik-Kalender dieser Saison. Publikum und Münchener Kammerorchester dürfte damit im Kern noch eine spannende Neue-Musik-Saison in der Pinakothek der Moderne bevorstehen.
Weitere Termine:
Komponistenporträt XX: Erkki-Sven Tüür (*1959)
Samstag, 6. März 2010, 22 Uhr, Pinakothek der Moderne
Pedro Carneiro, Marimba
Alexander Liebreich, Dirigent
Komponistenporträt XXI: Paul Hindemith (1895–1963)
Samstag, 19. Juni 2010, 22 Uhr, Pinakothek der Moderne
Antoine Tamestit, Viola
Éric Le Sage, Klavier
Alexander Liebreich, Dirigent