Es wird nicht hell in Duisburgs Kraftzentrale. Warum auch? Lemi Ponifasios leer geräumter Kasten, in den wir da hinunterstarren und in den ein als schlagende Verbindung auftretendes ensemble musikFabrik eine Dröhnung nach der anderen schickt, verträgt kein Licht. Schön, dass die Ruhrtriennale endlich auch ihr Anti-Theater-Erlebnis hat – Kollateralschäden inbegriffen. Wie betäubt, verlassen wir nach pausenlosen zweieinhalb Stunden Dauernarkose die Szenerie.
Die gute Laune der Sitznachbarn, die Scherze aus Erwartungsfreude und allerbester Theaterlaune – nach spätestens dreißig Minuten dämmert es rechts wie links, dass daraus an diesem Abend nichts werden kann. Und da sind wir ja erst am Anfang dieser Statik-Übung, dieses Nicht-Spiels, dieser Simulation von Theater. Apropos. Wenn „Theater der Abwesenheit“ nicht schon als Titel für ein Heiner Goebbels-Porträt vergeben wäre – für dieses Meisterstück an Aussitzen, Rumschreiten und Dröhnen würde es schon gut passen. Vor uns alles andere, nur keine Bühne. Braucht Lemi Ponifasio nicht, weil er an „Handlung“ nicht glaubt, „Konflikte“ für vordergründig hält und deren „Lösung“ sowieso als Scheinlösungen erachtet. Was existiert für Ponifasio, ist allein der Zustand des (prometheischen) Unerlöstseins und seine Beschreibung. Deshalb ist seine Bühne Sarkophag, Richtstätte, Klagekeller. Was sich hier bewegt, ist Schatten, auch wenn es noch lebt oder so tut.
Ob das Schicksal nun „Zeus“ heißt oder nicht, ist egal. Und was mit dem „Licht“ ist, das der Verurteilte illegitimerweise weitergereicht hat, ist auch egal. Als gleißende Lampe kehrt es wieder und blendet den Abend hindurch. Nicht Prometheus. Uns, denen er es gebracht hat. Das große zivilisatorische Aufklärungsunternehmen, für das „Prometheus“ seit der Antike steht, hier fällt es auf uns zurück. Leuchtet zwar, aber beleuchtet nichts mehr. Enlightenment? War einmal. Ob das alles auch schon bei Orff so steht und so gemeint ist? Ponifasio sagt Ja. Wir müssen es ihm glauben. Gespenstisch bereits das Eröffnungsbild. Ponifasio stellt Dirigent Peter Rundel mit dem Rücken zu seinem Orchester, damit Rundel mit erhobenen Armen, als sei er der leibhaftige Oberzeremonienmeister, schon einmal zur allgemeinen Einschüchterung die ersten akustischen Gewitter lostreten kann. Die Rationalität einer musikalischen Leitung steht hier auf einmal selbst im Dienst einer auf Betäubung zielenden Spielabsicht.
Und, dies noch: Furcht und Schrecken verbreiten hier bereits das instrumentale Arsenal: Vier Klaviere, zwei Harfen, zwei Orgeln, die Bläser sechsfach, neun Kontrabässe, elf Schlagzeuger. Die Eruptionen, die von einer solchen Maschinerie ausgehen, korrespondieren dem Heulen und Schreien, das die Zeus-Opfer Prometheus und Io vollführen. Brigitte Pinter und Wolfgang Newerla schießen das alles bewundernswert treffsicher und pfeilschnell heraus, nur um immer wieder zurückzufallen in ihren deklamatorischen Sprechton und Sprechgesang im Deklamationsstil. Zusammen mit dem (von Ponifasio provokant nonnenhaft kostümierten) Frauen-Chor von ChorWerk Ruhr sind sie gewiss die musikalischen Stützen des Abends.
Nur, was da gesprochen, deklamiert, geklagt, herausgeschrieen wird, das mutet doch an wie das Lateinische einer vorvatikanischen Priesterschaft: Herrschaftssprache. Orff/Ponifasio überschütten ihr Publikum mit einem komplett auf Altgriechisch runtererzählten Aischylos-Drama. Hochamt für jeden Gräzisten. Dass wir davon – gefühlt eine Art gelispeltes Alt-Norwegisch – kein Wort verstehen? Ist uninteressant, sagt Ponifasio. Wo steht denn, dass Theater zur Unterhaltung da ist? Eben. Und das Publikum? „Participators in ceremony“, Teilnehmer einer „Zeremonie“. Insofern stimmt es schon: Die Installation selbst so bescheidener Hilfsmittelchen wie Übertitelung wäre sofort der Sündenfall: Eintritt ins Stadttheater. Ruhrtriennale in dieser ersten Goebbels-Intendanz heißt ja nicht umsonst, sehr kantig: „No education“.
So sind wir denn an diesem Abend alle kleine Prometheuse. Wie der arme tapfere Heros da unten, der an seinen Sarg-Felsen gekettet ist und sich nicht rühren kann. Zumindest kann er ja klagen. Was er denn auch ausgiebig macht. Was er aber auch nur kann, dieses Textgebirge von 1094 Verszeilen bis zum Versinken des Felsens fehlerfrei herdeklamieren, weil ihm Ponifasio vor seine Nase, aber so, dass wir es nicht bemerken, zwei Riesenmonitore aufgestellt hat. Wie die Teleprompter für unsere großen Betäubungsredner. Keine Zauberer ohne Tricks.