Mit deutscher Hilfe begann im Iran vor über 100 Jahren das Zeitalter der Schallplatte. Um die verstaubten Schellackscheiben erneut zum Klingen zu bringen, reisen Experten des Center for World Music an der Universität Hildesheim zum Music Museum of Iran nach Teheran. Ein gemeinsamer Studiengang mit Studentenaustausch soll folgen.
Hildesheim/Teheran - Ungewohnt harmonische Töne zwischen Deutschland und dem Iran: Während der Atomstreit für Dissonanzen sorgt, lassen Wissenschaftler aus Hildesheim die Musik alter Meister in Teheran neu erklingen. Tausende alter Schallplatten, die seit Jahren im Archiv des Teheraner Musikmuseums schlummern, werden mit deutscher Unterstützung wieder abgespielt und digital aufgezeichnet. Gespannt warten Musikwissenschaftler auf die Auswertung der Platten, von denen die ersten vor mehr als 100 Jahren in Hannover gepresst wurden. Das Projekt ist Grundlage einer dauerhaften Kooperation der Universitäten Hildesheim und Teheran im Musikbereich.
Der Kontakt in den Iran kam zufällig zustande. Nachdem Hildesheimer Experten erfolgreich alte Musikbestände in Ägypten konserviert hatten, erinnerte sich ein in Hildesheim promovierender Iraner an die Plattensammlung in Teheran. Dort gab es schnell Interesse, eine Delegation kam 2011 nach Niedersachsen, berichtet der Direktor des Hildesheimer Zentrums für Weltmusik, Prof. Raimund Vogels. «Das Vertrauen hat sich ganz schnell eingestellt.»
Mit 60 000 Euro unterstützen die Stiftung Niedersachsen und das Auswärtige Amt das in beiden Ländern aufmerksam beäugte Projekt. Dabei soll ausdrücklich kein deutsches Geld in den Iran fließen. 3000 Schellackplatten aus der Zeit von 1906 bis 1932 gilt es zunächst zu reinigen und dann zu digitalisieren.
«Die iranischen Herrscher waren damals sehr technikbegeistert und fanden alles, was aus dem Westen kam, spannend», erläutert Vogels. Kurz nach der Jahrhundertwende kam mit einer Karawane aus Istanbul die erste deutsche Aufnahmetechnik nach Teheran. 1906 wurden mit im Iran erstellten Abdrucken in Hannover die ersten iranischen Platten gefertigt - der Grammophon-Erfinder Emil Berliner hatte dort wenige Jahre zuvor mit der Massenproduktion der Scheiben begonnen.
Bei der aufgezeichneten iranischen Musik handelt es sich hauptsächlich um höfische Gelehrtenmusik kleiner orientalischer Ensembles. «Klasse an den Platten ist, dass sie die Toptalente aufgenommen haben», sagt Vogels. Zur damals nur mündlich weitergegebenen Musik großer Lehrmeister gebe es nun wieder Tonbeispiele. Besuchergruppen im Teheraner Museum zeigten sich sehr begeistert, dass die Stimmen der Vorfahren wieder zu Leben erweckt würden.
«Ich habe versucht, da vorurteilsfrei hinzugehen», berichtet der deutsche Doktorand Samuel Mund von seiner ersten Reise nach Teheran. Im Bekanntenkreis hätten viele die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. «Ich habe nichts zu befürchten, ich habe großes Interesse», betont er aber. Vor Ort begann er auf Englisch bereits mit der Schulung der persischen Kollegen, mehrsprachig soll eine Datenbank der registrierten Musik entstehen.
Mit einem für die 78 Umdrehungen schnellen Schellackplatten umgebauten DJ-Plattenspieler, speziellen Nadeln, einem Verstärker und Digitalwandler soll das Projekt bis Jahresende bewältigt werden. Probleme gab es aus unerwarteter Ecke: Ohne Erdung verlegte Stromleitungen im Musikmuseum führten zu Störungen bei den Aufzeichnungen.
«Wir würden uns freuen, wenn durch diese Kooperation die Musiker und die Musikliebhaber aus aller Welt und besonders Deutschland die iranische Musik besser als früher kennenlernen», sagte der stellvertretende Direktor des Musikmuseums, Farzin Pirouzpey. «Wir glauben daran, dass sich das Musikmuseum Iran durch die Kooperation mit dem Zentrum für Weltmusik auf globaler Ebene besser als eine namhafte Institution der Musikforschung präsentieren kann.» Früchte trägt die Kooperation bereits für die Studenten: Beide Hochschulen erarbeiten derzeit einen gemeinsamen Masterstudiengang, der einen regelmäßigen Austausch von Studenten vorsieht.
Michael Evers