Alles ist von edlem Maß und elegantem Farbton. Die Gestaltung des Zuschauerraumes im berühmten Meininger Theater ist den ursprünglichen Entwürfen des Theaterherzogs Georg II. wieder angepasst worden. Für mehr als 23 Millionen Euro wurde das Theater nicht nur saniert, es ist jetzt auch mit modernster Bühnentechnik ausgestattet. Dafür wurde sogar das Rückportal des Bühnenhauses verschoben, somit ergeben Haupt- und Hinterbühne eine Spielfläche die das gleiche Maß hat wie die der Berliner Staatsoper. Eine Hubzylinderdrehbühne mit doppeltem Kranz wurde eingebaut, deren Möglichkeiten kommen in den Premieren anlässlich der Wiedereröffnung in überreichem Maß zur Anwendung.
Für die Meininger Hofkapelle, an deren Pult Dirigenten wie Hans von Bülow, Richard Strauss oder Max Reger standen, wurde der Orchestergraben erweitert. Man verfügt jetzt über ein Wagnerformat, und Wagners sehr selten zu erlebende Oper „Das Liebesverbot“ wurde durch den Intendanten Ansgar Haag zum festlichen Anlass inszeniert.
Wagners Jugendwerk orientiert sich an Shakespeares Komödie „Maß für Maß“, jenem „Lehrstück über die Verführungen der Macht, über Gesetz und Gnade“, wie es Georg Hensel beschreibt. Weil einst von Meiningen aus durch die legendären Aufführungen unter der Leitung des Theaterherzogs die Renaissance der Werke Shakespeares in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Lauf um die Welt nahm, setzte man zur Wiedereröffnung des Theaters vor der Opernpremiere eine Neuinszenierung des Originals an. Dieser Versuch einer zeitgemäßen Interpretation des Werkes durch den Regisseur Veit Güssow ist leider an moralischem Übereifer und handwerklichen Mängeln gründlich gescheitert und wird nicht um die Welt gehen.
Wagner verlegte seine 1836 in Magdeburg uraufgeführte Oper aus Shakespeares verlottertem Fantasie-Wien in den sinnlichen Süden, nach Palermo. Hier soll ausgerechnet ein Deutscher namens Herrmann mit striktem vor- und außerehelichem Liebesverbot wieder richten, was durch Liebeslust und maskierter Karnevalssucht im ohnehin irrealen Königtum Sizilien die Kategorien in schändlichste Verwirrung brachte. Im Untertitel nennt er seinen wunderbaren Opernspaß „Die Novize von Palermo“ und macht die Schwester des zum Tode verurteilten Liebesverbrechers Claudio zur eigentlichen Hauptperson des Stückes.
Musikalisch reichen sich Rossini, Bellini und Donizetti die Hände. Wagner als mächtiger Vierter im Quartett stimmt mit ihnen, deren Melodien seine Liebe gilt, in diesem Wunderstück einer europäischen Oper im Stile des Belcanto, der Buffa und der opéra comique mit den Orchesterfarben deutscher Romantik einen wahren Freudentaumel an. Herrliche Ensembleszenen, rhythmisch und farbreich ist der Orchesterpart, den Sängern wird etliches abverlangt, da muss uns der lyrische Schmelz ebenso betören wie die von Koloraturen durchzogene Attacke, der heldische Anspruch eines unerschrockenen Tenors, die dramatische Wucht der Sopranistin und beide müssen in raschem Schnitt zur charmanten Geläufigkeit der schmeichelnder Kantilenen gelangen. Und gerade jener Herrmann, der „Narr aus Deutschland“, in dem tödliche Prinzipientreue und alle Prinzipien missachtende Leidenschaft einander wiedersprechen, erhält bei Wagner zutiefst berührende musikalische Gestaltung.
In der Meininger Aufführung, die allein deshalb ein Geschenk ist, weil sie uns das zu lange überhörte und übersehene Werk Wagners präsentiert, singt der Bariton Dae-Hee Shing diesen ambivalenten Stadthalter von Sizilien. Geschmackvoll, nuanciert mit sicherer Tongebung gestaltet er seine Partie, er verfügt über die nötigen Facetten, um Widersprüchen und tragische Untiefen der Person Klang Gestalt zu geben. Seine Mit- und Gegenspielerin, die prinzipielle, selbstlose Novize Isabella ist Bettine Kampp. Ihr Spiel und Gesang sind von gewitzter Geschäftigkeit, dann hält sie versonnen inne und hat auch die Kraft für den furiosen Ausbruch, sei es die zornige oder die erotische Emotion.
So nimmt die musikalische Seite dieser Leistung des Ensembles grundsätzlich für sich ein. Sie könnte noch gewinnen, würde nicht das alte Wagner-Vorurteil zu oft bedient, dass seine Musik eben laut sei. Da dürften aber bei Philippe Bach am Pult der hervorragend musizierenden Hofkapelle noch reichliche Reserven sein. Ansgar Haags Verlegung des Geschehens nach Nürnberg, vor die rotierende Kulisse der Architektur des Reichsparteitages, mit brutalen Nazischlägertrupps und einer Karnevalsgesellschaft, die eher Totentänze zelebriert als in sinnliche Freudentaumel zu geraten, stellt sich gegen Wagners jugendliche, musikalische Vision europäischer Überwindung deutscher Biedermeierei.
Das Premierenpublikum feiert das Ensemble im wieder eröffneten Theater, dem strahlenden Schmuckstück des Meininger Musenhofes mit Schloss und Theatermuseum, zu dem die Reise lohnt.
Deutschlandradio Kultur sendet am 17.12. ab 19.05 Uhr einen Mitschnitt der Premiere.