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Neu sticht

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Wenn es um kühnen Paradigmen-Wechsel im Bereich des primitiv Begrifflichen geht, ist der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) immer eine gute Adresse. Sein „Bildungs-Fernsehen“, das dritte Programm, hat er schon längst zur gern besuchten Endlagerstätte optimal volksdümmlicher Musik ausgebaut. Auch die Klang-Avantgarde erfährt eine radikale Neu-Deutung: In seiner Massenfunk-Produktion namens „Jump“ kündigen penetrant duzende Moderatoren-Pärchen die nächste Audioschleimspur von „Ich & Ich“ oder von Christina Stürmer vorzugsweise als „neue Musik“ an. Womit vermutlich auf höchst zeitgenössische Weise dem Kulturverständnis unserer prosperierenden „Creative Industries“ Rechnung getragen wird.
Die einst qualitätvoll und kompetent besetzte – und seit einiger Zeit verwaiste – Redaktion für zeitgenössische Musik bei „MDR-Figaro“ gerät – das ist dann schon wieder konsequent – dem Vernehmen nach zur Sozialstation für einen Ex-Orchesterdirektor ohne sonderliche Sachkenntnis. MDR-Intendant Udo Reiter hatte sich – damals noch Hörfunk-Chef des Bayerischen Rundfunks – als engagierter Juror in Sachen Klangexperiment ausgewiesen. Er diffamierte die Ausstrahlung komplexerer Percussions-Kompositionen auf seinen Wellen scharf als quotenkillenden Abschalt-Grund.

Soviel zunächst zum Bewusstseinszustand zahlreicher öffentlich-rechtlicher Meinungsmacher; welcher – ob nun schlicht ignorant oder plump berechnend – längst auch „konventionellere“ Bereiche ernsthafter Kulturberichterstattung übersieht oder missachtet. So darf man sich im Fernsehen, egal ob erstes oder zweites Programm, regelmäßig bei allen nur erdenklichen Degenerations-Darbietungen in mental niedergebrannten Musikantenstadel-Ruinen oder Eurovision-Song-Contest-Puffs gebührenfinanziert zu Tode amüsieren.

Durchaus attraktive aber eben etwas anspruchsvollere „Events“ wie etwa der Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ finden in den selbsternannten visuellen Leitmedien kaum statt. Mag ja sein, dass sie unterhalb der Wahrnehmungsschwelle einer vom Global Glamour geblendeten TV-Macher-Netzhaut liegen. Da dienen wir uns gern als populismus-ausfilternde Taucherbrille an. Empfehlen einen Blick auf ebenso attraktive wie verantwortungsbewusste Jugend-musiziert-Innovationen: Es handelt sich dabei, liebe abgesoffene öffentlich-rechtliche Programmaten, um eine – sorry – schon bald fünfzig Jahre alte Nachwuchs-Bildungsmaßnahme, die bei bestem Blick für Qualität vor allem das – pardon – individuell abgestimmt pädagogisch Vernünftige kundig bewertet. Dank gut gebildeter Menschen in zivilgesellschaftlichen Gremien. Mit dem Erfolg, dass Ihr Eure Tele-Rüssel noch morgen wahlweise auf dem Ausschnitt oder dem Gesäß ehemaliger Preisträgerinnen und Preisträger weiden lassen könnt, vorausgesetzt, sie erfüllen Eure strengen Glamour-Kriterien.

Diese Innovation bewegt sich freilich genau in die entgegengesetzte Richtung von allem, was subventionierte Programmaten dafür halten: Sie fördert das allseits öffentlich Unberücksichtigte. Verfemte Musik, Klassik, von Frauen komponierte Musik, ganz neue Musik, den Kontakt zwischen Ensembles und Komponisten. Schade, was? Das Ganze findet in Freiburg und Münster im September statt – (da habt Ihr Landes-Studios) – und es heißt: WESPE, Wochenende der Sonderpreise. Lasst es sausen. Und Eure Controller sollen Hornissen in jedwede Kniekehle stechen. Denn auf einen Kopf mit Herz darf man bei Öffentlich-Rechtlichen kaum noch hoffen.

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