Noten kopieren ist illegal – sogar wenn es nur Kopien für den Privatgebrauch sind. So restriktiv das gesetzlich verankerte Kopierverbot für geschützte Noten seit jeher war, so wirkungslos war es in Konzertsaal, Wettbewerb, Übezelle und Unterricht geblieben. Da sich aber – wie die meisten Bürger – auch Musiker rechtskonform verhalten wollen, suchte man Lösungen.
Zumindest für den Bereich der kommunalen Musikschule glaubte man aufatmen zu können, als Anfang 2015 in der nmz zu lesen war: „Die Verwertungsgesellschaft Musikedition und der Verband deutscher Musikschulen (VdM) haben mit Wirkung zum 1. Januar 2015 einen Gesamtvertrag über das Fotokopieren von Noten in Musikschulen unterzeichnet. Die Administration hinsichtlich der Lizenzierung wird dabei von der GEMA übernommen. Für die Musikschulen im VdM ist es nun möglich, Notenkopien (und Kopien von Liedtexten) in bestimmtem Umfang herzustellen und diese im Unterricht und bei Aufführungen zu verwenden.“
Durch die Reihen der etwa 950 VdM-Musikschulen ging jedoch ein unüberhörbares Raunen, nachdem die ersten Musikschulleiter durchgerechnet hatten, was an Kosten bei meist sowieso schon angespannten Haushalten auf sie zukäme. Bei der nmz-Redaktion gingen Zuschriften ein, manche anonym, andere schrieben mit offenem Visier. Interessanterweise sah man auch bei den Verlagen anstelle von Begeisterung eher skeptische Gesichter. Sicher, man hatte die VG Musikedition mit der Vertretung der Verlagsrechte beauftragt. Dennoch schwebt seit der Legalisierung des Kopierens das Menetekel Umsatzeinbuße konkreter denn je über den Verlegerköpfen: Denn wer kopieren darf, muss nicht länger kaufen. Bei den Protestschreiben aus den Musikschulen waren Rechenaufgaben wie die folgende beliebt: „Mit allen Rabatten und Nachweisen, dass die Musikschulen keine Gewinnabsicht verfolgen – Entschuldigung: welche VdM-Musikschule kann einen ‚Gewinn‘ erwirtschaften? –, darf dann ‚mein‘ Musikinstitut in vier Stufen, ab 2015€ 22.000 Euro, bis 2018 gut 29.000 Euro, im Jahr dafür bezahlen, dass ‚kleinere Werke‘ mit einer Spieldauer von bis zu fünf Minuten vollständig kopiert werden dürfen, bei ‚größeren‘ Werken, Sammelbänden oder Instrumentalschulen 20 Prozent? Ebenso Kopien zum besseren Umblättern (Wendestellen), Kopien für Juroren bei musikschulinternen Wettbewerben (wohlgemerkt: ‚Jugend musiziert‘ ist kein ‚musikschulinterner Wettbewerb‘). Dafür dürfen sämtliche Noten auch zur öffentlichen Wiedergabe genutzt werden. Chornoten sind nicht dabei – der Grund ist offensichtlich.“
Einmal abgesehen davon, ob hier tatsächlich korrekt gerechnet wurde, ist der ganze Streit natürlich kein junger, sondern ein uralter, der durch die Vereinbarung zwischen VdM und VG Musikedition nur neu angefacht worden ist. Über ihren gemeinsamen Gegenstand, die Musik, sind Verlage und öffentliche Musikschulen untrennbar miteinander verbunden und alles schien bestens geregelt zu sein bis zu dem Tag, als das erste Kopiergerät seinen Betrieb aufnahm. Seither stehen Klebearbeiten aus Kopien und Tesafilm auf den Pulten von Schülern und Meistern, und die Stimmen fürs Musikschulorchester mit eingezeichneten Strichen werden kopiert, da es keine Einzelstimmen nachzukaufen gibt. Kirchenchöre fühlen sich mit ihren Kopien im richtigen Glauben und übersehen dabei nur zu gerne, dass nur die Musik für den Gottesdienst Bestandteil ihres GEMA-Tarifs ist und nicht das Kirchenkonzert.
Aus der Sicht des deutschen Urheberrechts bewegen sich Musikschulen, ihre Dozenten und Schüler seit Jahrzehnten in einer sogenannten rechtlichen Grauzone. Dies betrifft nicht nur Lehrkräfte an den kommunalen Schulen, sondern auch die freiberuflichen Musikpädagogen und Musiker. Mit deren Vertretung, dem Deutschen Tonkünstlerverband, will die VG Musikedition als nächstes in Verhandlungen treten. Die privaten Musikschulen haben dagegen bereits 2009 eine vertragliche Regelung mit der VG Musikedition gefunden.
Auf dem Musikschulkongress 2015 in Münster war das Thema nicht nur ein Tagesordnungspunkt der Hauptversammlung, sondern auch Programmbestandteil. Der Stuttgarter Musikschulchef Friedrich-Koh Dolge moderierte eine Expertenrunde mit GEMA-Direktor Uwe Dorn, Christian Krauß, Geschäftsführer der VG Musikedition, sowie Klaus Bredl, Geschäftsführer des Landesverbands der Musikschulen Niedersachsen, vor einem Publikum, das vor lauter Aufmerksamkeit quasi auf der Stuhlkante saß und auch sehr konkret nachfragte. Die Veranstaltung behandelte die wichtigsten Eckpunkte des Kopierthemas. Der aktuelle Musikschultarif der VG Musikedition sieht einen Euro pro Monat pro Schüler vor.
Zwölf Euro pro Schüler im Jahr sind sicher nicht das größte finanzielle Problem, das manche Musikschulen im Moment zu stemmen haben. Eine reale Kostengröße kann in einer politischen Debatte als gefühlte Kostengröße jedoch enorm anwachsen. Um den Einstieg verträglich zu machen, staffelt sich der Tarif in den ersten Jahren. Es herrscht das Prinzip der Freiwilligkeit, keine Musikschule muss eine Vereinbarung unterschreiben. Ein Kopierverbot wie es bisher viele Musikschulleitungen ausgesprochen hatten, ist weiterhin eine legale Alternative. Die GEMA hat – außer Besuchen öffentlicher Konzerte – keine Handhabe zur Überprüfung und kann nur auffordern und nachfragen.
Zum Thema Kosten-Nutzen-Rechnung klafften in Münster die Meinungen weit auseinander. Die Einen sahen Einsparpotentiale, die Anderen ausschließlich Kostensteigerungen. Da die erforderliche Summe bei den meisten Musikschulen wohl nur im Umlagesystem über Gebührenerhöhungen aufgebracht werden kann, stellt die neue Sachlage für Musikschulen, die ja mit ihren sozialverträglichen Unterrichtsgebühren werben, ein Problem dar. Und noch eine Frage taucht auf: Eltern könnten zukünftig sagen, wenn ich jetzt fürs Kopieren mehr zahlen muss, dann will ich keine teuren Noten mehr kaufen müssen.
Es gibt in diesem Fall nur zwei Richtungen und der VdM hat mit der neuen Regelung einen Schritt in die richtige gemacht – raus aus der Grauzone. Inwieweit Schulen neben höheren Kosten auch ein unzumutbarer Verwaltungsaufwand entsteht, muss die Praxis zeigen. Von Seiten des VdM wird die Lösung als Korridorlösung bezeichnet, Nachbesserungen stehen außer Frage. Einen nächsten Zug müssen die Verlage machen: Einhellig wurden auf dem Musikschulkongress Downloadportale gefordert, über die man Einzelausgaben und vor allem fehlende Einzelstimmen legal erwerben kann. Doch die Geschichte bleibt eine „Neverending Story“: Ausgedruckte DIN-A4-Ausgaben sind als Kopiervorlage schließlich die größte anzunehmende Versuchung, seit es Copyshops gibt.