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Mojca Erdmann, Virpi Räisänen, Julia Faylenbogen, Elin Rombo, Johannes Martin Kränzle. © Ruth Walz, E-mail: RuthWalz@gmx.de
Mojca Erdmann, Virpi Räisänen, Julia Faylenbogen, Elin Rombo, Johannes Martin Kränzle. © Ruth Walz, E-mail: RuthWalz@gmx.de
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Nietzsches lustvoller Weg in den Wahnsinn – Uraufführung von Wolfgang Rihms „Dionysos“ bei den Salzburger Festspielen

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Wiederholt schon erlebte der Philosoph Friedrich Nietzsche seine Auferstehung als Dramatis Persona auf der Opernbühne, so – nach Giuseppe Sinopolis „Lou Salomé“ und Siegfried Matthus’ „Cosima“ – nun auch in Wolfgang Rihms Opernphantasie „Dionysos“ bei den Salzburger Festspielen. Und häufig wurde Lyrik des umstrittenen Philosophen vertont, – zunächst wenig glücklos von ihm selbst, gelungener dann u. a. von seinem Komponisten-Intimus Peter Gast.

Nun ist „N.“, wie ihn Rihm in seinem eigenen Libretto auf Worte von Friedrich Nietzsche nennt, der Protagonist von „Dionysos“, ihm eng zur Seite „Ein Gast“. Angesichts der Verführungskünste Ariadnes, die es – gleich N. – liebt, gefesselt zu werden, bringt der erst stumme N. langsam die Worte „Ich bin dein Labyrinth“ hervor, doch immer hat ihm Ein Gast den Erfolg voraus, er gewinnt bei Ariadne ebenso, wie bei den Hetären, wandelt sich gar zu Apollon, der N. die Haupt abzieht. Und so, wie Friedrich Nietzsche sich vor seiner Einlieferung ins Baseler Irrenhaus in Turin selbst als nackt tanzender Dionysos präsentierte, ist Rihms N. von zunehmendem Irrsinn gezeichnet, bis seine separierte Haut schließlich in Ariadnes Arme sinken darf: „ich bin deine Wahrheit ... AAA...“.

Für die vier Blöcke seiner gut zweieinhalbstündigen Oper hat der 1952 in Karlsruhe geborene Komponist, dessen Werke schon wiederholt einen  Bezug zu Nietzsche aufwiesen, eine durchaus leicht goutierbare Musik geschrieben, zumeist sparsam in den orchestralen Mitteln, wirkungsvoll in der Klangbildung, dabei häufig frei tonal, sogar mit einem schwungvollen Walzer. Beginnend mit dem komponierten Wagnerschen Thema des (Ver-)Lachens durch die Rheintöchter, die hier Nymphen sind, und sehr äußerlich am Beginn des zweiten Teils, mit dem plakativen Zitat des Pubikumsgemurmels, das gleichsam aus der Pause übertragen wird und klanglich den Bogen schlagen soll zum Salon des Bordells. Es gibt viele „Schönheiten“ in dieser Partitur, die selbst bei den Komponisten der Postmoderne verpönt waren. Dazu gehören der heranwehende Klang der Glocken auf dem Berggipfel und das verhaltene Duett von Tenor und Bariton, sowie zauberhafte Kantilenen, etwa bei N.s fast ausschließlich vom Klavier begleitetes Wanderer-Lied. Das von Rihm gern und vielfältig eingesetzte Mittel des Nachäffens bringt auch klangliche Komik ins Spiel, groteske Wortwiederholungen gebären neue Klangmodelle, und szenische Erfordernisse kosten das Naheliegende aus, wie etwa das komponierte Miauen von Katzen und das Singen von Delphinen.

Die Inszenierung von Pierre Audi (zufällig ist der gleichnamige Automobilhersteller auch einer der Hauptsponsoren des Festivals!) weiß die Solisten und die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor trefflich zu führen. Bariton Johannes Martin Kränzle als N. macht das Changieren zwischen Rausch und Krankheit als Prozess des schleichenden Wahnsinns deutlich, vom Hervorrülpsen der ersten Worte, bis zur körperlichen Selbstzüchtigung, mit Belcanto für den Gesellschaftsmenschen und Sprechgesang bei dionysischer Wildheit des Satyrs. Mojca Erdmann ist eine hinreißend schlanke Ariadne, stimmlich und körperlich girrend nach Fesselung und Kopulation: melodische Verführungskraft vom Feinsten. Der Tenor Matthias Klink, apollinisch strahlend, brilliert als Ein Gast. Ein exzellentes vokales Frauenquartett – neben Moja Erdmann besetzt mit Elin Rombo, Virpi Räisänen und Julia Faylenbogen – sorgt in diversen Verkörperungen für puren Stimmgenuss.

In den szenischen Tableaus dominiert die Ausstattung von Jonathan Meese, dessen utopischer Entwurf der „Diktatur der Kunst“ bildlich auch hier greift, obgleich sich die Erzählweise des bildenden Künstlers der Dramaturgie der Opernhandlung erstaunlich anpasst. In der ersten Szene ist der See, auf dem N. Ariadne begegnet, ein Felsen, auf dem N. rudert, das Gebirge der nächsten Szene ist eine Kunstlandschaft von Pyramiden, umgestürzten Stühlen und einer Leiter, die bedrohenden Raubvögel sind nur Projektion, während ein gelber Blitz als Kunstobjekt herabgelassen wird und wieder in den Schnürboden verschwindet. Im Bordell dominieren weiße Plastikbälle, und die Haut wird N. wird ihm vor einer Überfigur abgezogen, während jenes Pferd, das N.s Haut (der Tänzer Uli Kirsch) dann vor den Schlägen seines Peinigers beschützen will, nur ein überdimensionales Signet ist.

Besonders gelungen sind Meese die künstlerisch überzogenen Chorkostüme einer Leserschaft, die der Zeitung „Nietzsche total“ entnimmt, wie auch der Chor der überköpfigen Mänaden und die Umsetzung der drei Tiere säugenden, jungen Frauen, mit übergroßen Geschlechtsorganen in überzogener Nacktheit.

Dirigent Ingo Metzmacher ist für Wolfgang Rihms zehnte Partitur ein exzellenter Sachwalter, deren wenige Schroff- und viele Schönheiten er mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin merklich zum eigenen Vergnügen exerziert. Dieses Vergnügen an der Musik springt auch auf das Publikum über – ungebremst, zumal Rihms Tonsprache den Rezipienten kaum mehr abverlangt als die von Richard Strauss. So gab es bei der ersten Reprise der Uraufführung nur einen einsamen Buhrufer, dessen Widerspruch um so stärkeren Zuspruch der anderen Besucher im – allerdings keineswegs ausverkauften – Kleinen Festspielhaus auslöste.

Die Salzburger Koproduktion mit De Nederlandse Opera und der Staatsoper Unter den Linden soll künftig auch in Amsterdam und Berlin auf dem Programm stehen.

Weitere Aufführungen in Salzburg: 5. und 8. August 2010.

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