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Noch fehlt der Schulterschluss aller am Musikleben Beteiligten · Von Stefan Piendl

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Er steht wieder mal vor der Tür: der erste Mai, Tag der Arbeit. Wo aber bleibt der „Tag der Musik“? An gemeinsamen Zielen für die es sich zu engagieren lohnt, mangelt es in der Musikwelt jedenfalls nicht. Aber worauf warten wir dann noch? Das Musikleben in Deutschland hat es erstaunlicherweise bisher noch nicht geschafft, sich wirklich gemeinschaftlich für seine Ziele einzusetzen. Dabei wird es höchste Zeit…

Kaum ein Tag vergeht ohne Negativ-Schlagzeilen aus der Musikwelt. Zum Beispiel der immer weniger stattfindende Musikunterricht an den Schulen, Diskussionen über zu schließende Orchester und Opernhäuser, die sich zuspitzende Lage der Musikwirtschaft. Die Liste ließe sich noch deutlich verlängern. Das Weheklagen ist nicht neu, im Gegenteil: es geht manchem schon gehörig auf die Nerven. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Erstens: der oft übertriebene, düstere Pessimismus in manchen Medien, das bejammern einer Krise als Selbstzweck. Zweitens: selbstgefällige Schuldzuweisungen an die üblichen Verdächtigen wie zum Beispiel „unfähige Politiker“ und die „gierige Musikwirtschaft“ (hier wiederum sind die großen Tonträgerunternehmen, die so genannten „Majors“, in der Rolle als Sündenbock der Favorit) bis hin zum Ottonormalverbraucher, der sich doch tatsächlich erdreistet, lieber mit RTL neue Superstars zu suchen statt brav nach Donaueschingen zu pilgern. Drittens: der meist fehlende konstruktive Ansatz, wie man es denn besser machen könnte. Selbst die nmz als tapfere und unbestechliche Kämpferin für das Wohl des deutschen Musiklebens konzentriert sich in so manchem Kommentar ganz „taktlos“ allzu sehr auf das Versprühen von oft Gift und Galle und vergisst dabei auch schon mal Vorschläge für neue Ansätze zu machen. Viertens: die Einseitigkeit in der Beurteilung der Lage. Geschlossenen Häusern stehen schließlich auch Neueröffnungen gegenüber: eine Oper in Erfurt, neue Philharmonien in Essen und Dortmund und trotz eines seit Jahren rückläufigen Marktes gibt es auch die Plattenfirmen nach wie vor.

Praktisch alle Bereiche des Musiklebens sind in der letzten Zeit mehr oder weniger in Bedrängnis geraten. Aber: in Deutschland wird doch auf einem beachtlich hohen Niveau geklagt, das Glas ist nicht halb leer sondern mindestens halb voll. Nun mag mancher fragen, wo denn da bitteschön der Unterschied liegt? Mal abgesehen davon, dass mit gesundem Optimismus mehr Positives zu bewegen ist als mit masochistischer Selbstzerfleischung, ist es ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Es geht zum Beispiel auch um die Attraktivität die man für Partner ausstrahlt. Stichwort Sponsoren: dort gilt die Suche guten Rennpferden, die durch weitere Investitionen noch schneller werden und mit denen man sich identifiziert, nicht lahmen Ackergäulen, die ihre beste Zeit hinter sich haben und nur noch ihr verdientes Gnadenbrot erhalten. Ich glaube kaum, dass den nicht müde werdenden Propheten des Untergangs der Klassik mit ihren wiedergekäuten Endzeitszenarien zum Beispiel der Gedanke an Sponsoren und den Schaden den sie diesbezüglich anrichten, bewusst ist.
Wenn man seine Blickrichtung verändert, weg von den Kommentaren in den Medien und dem Palaver auf den Podien von Kongressen und Messen hin zu den handelnden Personen, fällt einem zweierlei auf: erstens, es mangelt nicht am Engagement derer, die guten Willens sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um das Heer ehrenamtlich engagierter Menschen handelt oder aber um all diejenigen, die von der Musik leben, seien es die Musiker selbst, Kulturmanager, Musiklehrer oder all die anderen Berufstätigen, die im Umfeld der Musik beschäftigt sind. Auch unzählige Vereine und Verbände sowie deren Funktionäre entwickeln vielfältige Aktivitäten, engagieren sich gegen Fehlentwicklungen aller Art. Natürlich auch Politiker und die Musikwirtschaft. Es mag manchmal schwierig zu beurteilen sein, ob es dabei tatsächlich immer um die Musik geht oder doch eher um das liebe Geld, Image oder Wählerstimmen. Aber lassen wir hier im Zweifelsfall ruhig mal das Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ gelten.

Viel bedeutsamer erscheint mir aber die zweite Auffälligkeit: weit und breit ist nichts von einer echten, kraftvollen, konzertierten Aktion der Musikwelt gegen die Missstände, die uns Sorgen bereiten, zu sehen oder zu hören! Ist das nicht wirklich ebenso unverständlich wie unverzeihlich? Da kommt keine Wahlveranstaltung der Parteien, egal welcher Couleur, ohne Musik aus, kein Fest- oder Staatsakt auf dem nicht gegeigt wird. Rock gegen Rechts, am Ring und auf der Loreley, Open Airs für Afrika, Benefiz-Galas in Sachen Aids und für die deutsch-israelische Freundschaft. Es gibt den Bundespresse-Ball und den Ball des Sports, natürlich alles mit Musik – wo aber bleibt der Ball der Musik? Wo bleibt die Benefitz-Gala für die Berliner Sinfoniker? Warum gibt es kein Rock gegen Kultusminister, die den Musikunterricht in ihren Ländern vor die Hunde gehen lassen? Warum reden Musiker mehr gegen Missstände als die Kraft und Macht der Musik im großen Stil für die eigenen Ziele einzusetzen?

Warum gibt es in Deutschland keinen konzertierten „Tag der Musik“ oder besser gleich eine ganze Woche? Warum fehlt der Schulterschluss zwischen allen am Musikleben beteiligten Menschen, Laien und Profis, Ehrenamtlichen und Berufstätigen, Verbänden und Musikwirtschaft, Medien und Politik?! Warum geht es in anderen Ländern, zum Beispiel in Frankreich mit den „Fetes de la musique“ – aber nicht bei uns? Ist etwa der Leidensdruck (noch) nicht groß genug?

Dann sollten wir auch aufhören unsere Situation zu bejammern! Oder fehlt es an der Person oder besser an der Institution, die sich übergreifend dieser Aufgabe stellt und die Herausforderung annimmt? Lobbyarbeit lebt zum einen auch ganz entscheidend von der geballten Kraft der hinter ihr stehenden Personen, der (Wirtschafts-)macht der Organisationen und von der Mobilisierung der öffentlichen Meinung. In der Wirtschaft zeigen es uns die Unternehmen die, im Alltag oft erbitterte Konkurrenten, wenn es um die Wahrnehmung ihrer Interessen geht, einträchtig zusammenstehen. Die Musikwelt, die ja aus weit mehr besteht als nur aus der „Musikbranche“, hat noch gar nicht richtig erkannt, welche Bedeutung sie hat wenn man sie nur als Gesamtes betrachten würde und sie vor allem auch geeint agieren könnte. Kumuliert handelt es sich nämlich um einen der größten Wirtschaftzweige in Deutschland. In der öffentlichen Wahrnehmung lassen wir uns aber von Lobbyisten wie dem Bauernverband, der Pharmazeutischen Industrie, dem Kohlebergbau oder den Gewerkschaften die Butter vom Brot nehmen. Dabei ist die Musik selbst schon ein Pfund mit dem sich emotional viel besser wuchern ließe.

Vor wenigen Jahren nahm der Deutsche Musikrat einen Anlauf in die richtige Richtung und verabschiedete die „Aktion Musik“ mit dem Schwerpunkt auf Förderung der Musikalischen Bildung. Das war insofern klug, als es sich dabei um ein konsensfähiges Thema auf breiter Basis handelt. Wer möchte schon am Sinn musikalischer Bildung zweifeln? Selbst unser Bundespräsident macht sich dafür stark. Aber bevor die „Aktion Musik“, die von Anfang an ein bisschen zu sehr nach „Aktion Sorgenkind“ klang und ein wenig kopflastig und freudlos daherkam, so richtig Fahrt aufnehmen konnte, geriet der Musikrat selbst vom Kurs ab und musste, bis durch die Insolvenz im Jahr des fünfzigjährigen Jubiläums, um das eigene Überleben kämpfen.

Das ist nun geschafft. Neu organisiert und strukturiert und mit neuem Präsidium versehen, sollte man doch nun in der Lage sein, sowohl die Kräfte wie auch die Mitglieder zu vereinen und eine Kampagne auf die Beine zu stellen, die Deutschland bisher noch nicht erlebt hat.

Eine Woche das ganze Land in Musik eintauchen, erst lokal und regional und dann mit einem fantasievollen Abschlusstag, der jedem Politiker klar macht, dass es keine gute Idee ist, sich mit Kürzungen im kulturellen und musischem Bereich profilieren zu wollen und jedem Wirtschaftskapitän vor Augen und vor Ohren führt, dass es kaum eine bessere Idee gibt, als Sponsorengelder in die Welt der Musik fliesen zu lassen! Nur wenig erreicht die Herzen der Menschen so gut wie die Musik, nur wenig weckt ebenso positive Emotionen wie die Musik. Können wir es uns wirklich leisten, die Musik in den Konzertsälen zu belassen und sie zwar für alle möglichen guten Zwecke einzusetzen aber nicht für die eigenen Ziele?

Kann es dabei bleiben, dass die Vereine und Verbände zwar für sich selbst betrachtet oft hervorragende Arbeit leisten, aber ausgerechnet die Menschen, die darauf trainiert sind gemeinsam Harmonien zu erzeugen eben gerade dies nicht zu Stande bringen, wenn es darum geht, sich machtvoll für gemeinsame Ziele wie die Förderung und den Schutz der musikalischen Bildung einzusetzen? Wohl kaum, deshalb: Musiker aller Bundesländer vereinigt Euch – und erweckt die Idee des „Tages der Musik“ zum Leben, jedes Jahr aufs Neue.

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