Hauptbild
Ohne Glaubwürdigkeitsprobleme: CSNY in Neil Youngs Doku „Déjà vu“. Foto: 3sat
Ohne Glaubwürdigkeitsprobleme: CSNY in Neil Youngs Doku „Déjà vu“. Foto: 3sat
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Nur auf alten Pferden lernt man reiten: Die 3sat-Reihe „Keep on rocking“

Autor
Publikationsdatum
Body

3sat präsentiert Rock-Giganten. Im Mittelpunkt stehen altroutinierte Künstler wie die Rolling Stones, Lou Reed oder Crosby, Stills, Nash und Young. Ganz so, als wollte uns der Sender mitteilen, dass es keine neueren Musikfilme gäbe. Doch: Man nimmt, was kommt. Die Konzertfilme, Porträts und Dokumentationen von und über ältere Semester wollen sich mit dem Einfluss dieser Künstler auf heutige wie damalige Generationen auseinandersetzen.

In der fünfteiligen Reihe „Keep on rocking“ zeigte 3sat folgende Filme:
Fr 09. Oktober 2009, 22.25 Uhr: Crosby, Stills, Nash und Young - Déjà Vu
Fr 09. Oktober 2009, 00.00 Uhr: Year of the Horse
Sa 10. Oktober 2009, 20.15 Uhr: Shine A Light
Sa 10. Oktober 2009, 22.10 Uhr: Lou Reed's Berlin
So 11. Oktober 2009, 21.45 Uhr: Monks - The Transatlantic Feedback
Die nachstehende Bilanz dieses Rockfilmspektakels enthält kurze Informationen zu den Werken und versucht sich abschließend in der Würdigung und Einschätzung der jeweiligen Sehenswürdigkeit.

No country for old men: „Crosby, Stills, Nash & Young: Déjà Vu“

Titel: Crosby, Stills, Nash & Young - Déjà Vu, 2007
Regie: Bernard Shakey
Länge: 95 Min. (mit deutschen und englischen Untertiteln)

Zum Film:
Regisseur Bernard Shakey alias Neil Young reformiert seine ehemalige Protestband Crosby, Stills, Nash & Young im Jahr 2006 für eine Tournee durch Nordamerika. Diesmal protestieren sie gegen den zweiten Irakkrieg bzw. den Einsatz amerikanischer Soldaten im Irak. Und treffen auf ein zerrissenes, tief gespaltenes gesellschaftliches wie politisches Amerika. Aber auch auf die eigene Vergangenheit, das fortgeschrittene Alter und auf Hohn, Spott und Bissigkeit bezüglich ihrer Ambitionen.

Fazit:
Neil Young hatte die Schnauze voll. Von Bush, seiner verlogenen Regierung, dem Irakkrieg, von Lügen, Ausreden und der amerikanischen Gesellschaft, die Vieles klaglos hinnimmt. Also setzt er sich hin, schreibt ein paar Protestsongs, ruft seine Kumpels Crosby, Stills, Nash an und vereinbart nach 40 Jahren Bandabstinenz eine Reunion-Tour, die Amerika wachrütteln soll. Noch dazu verschafft er sich ein Alter Ego. Bernard Shakey nennt er sich und dreht als jener den Dokumentarfilm „Deja Vu“, der nun mal so heißt, wie die neue CSNY-Platte, auf denen o.g. Protestsongs eine Heimat finden.Soll ferner heissen: 40 Jahre später, schon wieder ein Krieg, in den Amerika verwickelt ist, Schon wieder nichts gelernt.

Neil Young verpflichtete für diesen Film als Co-Autor Mike Cerre. Der ist ein hoch dekorierter ehemaliger Offizier mit Vietnam-Erfahrung und arbeitete während des zweiten Irakkrieges als „eingebetteter“ Journalist. Ihm obliegt es, die Stimmung im Land, aber auch die des Publikums während der CSNY-Tour einzufangen. Für Neil Young fungierte Mike Cerre als Korrektiv: „Er weiß wirklich, wovon wir reden, er war dort, wir nicht, deshalb war uns seine Meinung über das, was wir machen, sehr wichtig.“

Wer nun einen politisch motivierten US-Film im Stile eines Michael Moore, also aus einseitiger Perspektive erwartet, liegt weit daneben. „Déjà Vu“ zeigt sich weniger als Konzertfilm. Musik taucht zwar auf, jedoch nur peripher, am Rande und begleitend. Kernstück des Films sind Interviews mit durchschnittlichen Menschen und Konzertbesuchern. Die vertreten eine Meinung. Nämlich, dass dieser zweite Irkakkrieg eine Farce ist, dass man dagegen ankämpfen muss. Dann gibt es aber desgleichen jene Einspielung, die die Zerklüftung des heutigen Amerikas deutlich machen: Nachrichtensender, Talkshowkönige und andere Medien, die sich über Neil Young und seine Rentnerband lustig machen, ihr Anliegen ins Lächerliche ziehen und nichts von all dem kapiert haben, was CSNY da tatsächlich ansprechen.

So entsteht ein Patchwork der amerikanischen Gesellschaft, das traurig macht. Und herausarbeitet, warum die alten Recken um CSNY noch mal ran müssen. Weil derartiges politisches Engagement von jungen behüteten Marionetten-Künstlern wie Christina Aguilera oder Britney Spears nicht zu erwarten ist und andere wie Madonna oder U2 ein Glaubwürdigkeitsproblem haben. Und was soll sich schon aus einer Gesellschaft entwickeln, die Schusswaffen unterm Kopfkissen hat, die Wände mit Flaggen tapeziert und Europa für eine Insel links vor Amerika hält? Also muss Neil Young ran und wie vor 40 Jahren als Sprachrohr einer jüngeren Generation im Protest gegen den Krieg herhalten.

Youngs bzw. Shakeys Dokumentarfilm untersucht nicht nur historische Gemeinsamkeiten zweier verschiedenen Zeitabschnitte, sondern beleuchtet die beängstigenden Parallelen ohne die Unterschiede zu vergessen. Und das aus zwei Meinungen und Perspektiven, die oftmals harte wie verständliche Kritik an CSNY enthalten.

Ein gut gemachter, wie gelungener Dokumentarfilm, der den Blick auf ein kaputtes Amerika öffnet und beiträgt, unsere eigene Einstellung zu hinterfragen.

Grobheit trifft Wahnsinn: „Year of the Horse“

Titel:
Year of the Horse, 1997 (3sat Erstausstrahlung)
Regie: Jim Jarmusch
Länge: 105 Min. (mit deutschen Untertiteln)

Zum Film:
Regisseur Jim Jarmusch begleitete Neil Young und dessen Band Crazy Horse 1996 auf ihrer Tournee durch Amerika und Europa.

Fazit:
Da kann man sich nur verneigen. Vor Jim Jarmusch und den Musikern. Ein Portait, eine Aufarbeitung, eine Dokumentation, eine Zeitreise, eine Perspektive. Das alles vereint dieser Film, den Jarmusch in seiner Wirrheit und Andersartigkeit montiert hat. Zentrum des Films: Kein Konzert. Es ist ein Stuhl, der in einem Backstageraum aufgestellt wurde. Zum Beichtstuhl umfunktioniert. Immer wieder setzen sich Young & Crazy Horse auf diesen Stuhl und reden: Über sich selbst, die Band, ihre Musik, andere Musik. Über Trauriges (Herointod des Gitarristen Danny Whitten 1972, Tod des langjährigen Produzenten Danny Briggs 1995), Erfolgreiches und Aufschlussreiches. Auch Neil Youngs Vater, Schriftsteller, nimmt auf dem Stuhl Platz und erzählt.

Dazwischen Liveausschnitte. Die an Spannung, Intensität und Energie nicht zu überbieten sind. Es ist unglaublich, dass diese vier Musiker, die aussehen wie Parkuhren mit angebunden Musikinstrumenten, eine derart wegweisende Musik fabrizieren haben und noch heute Vorbild solcher Bands wie Pearl Jam sind. Klug von Jim Jarmusch: Er lässt die Band die Orignalversionen der Songs spielen. Das bedeutet endlose Instrumental-Passagen, die nie langweilig werden, ewige Feedback-Schleifen und acht bis zehnminütige Songversionen. Dazu hat Jarmusch den Mut, die Bühne minutenlang dunkeln abzufilmen, in Super-8 zu drehen oder grobkörnige wie unscharfe Einstellungen zu verwenden. Das ist Reinheit in Perfektion. Und zeigt: Jim Jarmusch hat diese Band verstanden. Ergänzend gibt es Archiv-Aufnahmen von 1976 und 1986, die die Band zwischen gegenseitigen Pöbeleien, Feuerexzessen im Hotel und in der Lücke zwischen Alkohl und sanften Drogen zeigen.

Ein faszinierender Film, der als solcher bezeichnet werden darf und weit weg vom Kommerz-, Marketing- oder Selbstbeweihräucherungsaspekt sonstiger Musikdokumentation ist.

Mehr Schein als Sein: „Shine a Light“

Titel: Shine a Light, 2008 (TV-Premiere in 3sat)
Regie: Martin Scorsese
Länge: 115 Min. (mit deutschen Untertiteln)

Zum Film:
Regisseur Martin Scorsese inszenierte die Rolling Stones im Beacon Theatre, New York. Der Film wurde auf der Berlinale 2008 vorgestellt und an zwei Tagen, dem 29. Oktober und dem 1. November 2006 gedreht.

Fazit:
„Shine in Eitelkeiten“ hätte den Titel korrekter getroffen. Mit Scorsese und den Stones berühren sich ohne Zweifel Lichtgestalten des Films bzw. der Musik. Dementsprechend gewichtig geben sich die Partner. Telefonate um Nichtigkeiten werden zu Weltproblemen stilisiert, die Diskussion um die Setliste des Konzerts erhält ähnliche Aufmerksamkeit wie die Ratifizierung der EU-Verträge. Vor dem Konzert gibt es noch „Meet & Greet“ mit Bill Clinton, dessen Familie samt Oma und 30 Freunden. Denn, das Konzert ist eine Benefizveranstaltung und soll auf die Folgen des Klimawandels hinweisen. Das ist Scorsese, den Stones und Clinton gleich wichtig. Und deshalb haben sich Regisseur und Band auf lediglich sechs Tonnen Lichtmaterial und Scheinwerfer für die Bühne verständigt, weil die nur 5000 Kilowatt Strom pro 30 Minuten und 2000 Kilogramm CO2 pro Stunde verbrauchen. Heuchlerisch!

Im Mittelpunkt des Films das Konzert. Langweilige Kamerafahrten (Jagger in Nahaufnahme, Kamera schwenkt übers Publikum zur Bühne, Richards steht neben Wood) gehen auf die Nerven. Das zu helle, teils grelle Licht ist gewöhnungsbedürftig, die Gastauftritte von Christina Aguilera (Live with me), Jack White (Loving Cup) und Bluesheld Buddy Guy (Champagne & Reefer von Muddy Waters) sind gut gemeint, dienen aber etwas aufgesetzt als Alibi der eigentlich nicht vorhandenen, doch oft unterstellten generationsverbindenen Funktion der Stones. Spannend und knisternd ist anders.

Wie immer richtig gut bei den Stones: Die Begleitmusiker (Backgroundsängerinnen und -sänger, Brasssektion, Piano) und Drummer Charlie Watts. Ohne dieses Fundament würden Wood, Richards und Jagger, der beim Konzert mehr spricht als singt, fulminant untergehen.
Die eingeflochtenen Archivbilder in schwarz/weiss mögen teils unveröffentlicht sein, waren jedoch in gleicher Sinnaussage ebenfalls in früheren Dokumentationen der Stones zu sehen. Und sind damit verzichtbar.

Oscar-Preistrager Martin Scorsese, der Erfahrung im Musikfilm hat (Woodstock, The Last Waltz von 1978) helfen seine 16 Kameras mit amtlichen Personal (u.a. Robert Richardson: Aviator, Platoon, Robert Elswit: There Will Be Blood) wenig. Statt auf intime Bilder, Wort und Szenen zu setzen, geht es um Gigantismus, Eitelkeiten, Wichtigkeiten und Selbstinszenierung. Letztere beherrschen übrigens Regisseur wie Band. Ein stinknormales Rockkonzert, das ordentlich aufgebauscht wurde, das den wahren Stones Fan entzücken wird und den neutralen, eher Stones ungewogenen Fernseher knapp zwei Stunden seines Lebens gekostet hat, die er wohl nicht mehr zurückbekommen wird.

Ganz normal: Lou Reed's Berlin

Titel: Berlin, 2008
Regie: Julian Schnabel
Länge: 85 Min.

Zum Film:
Einst zerrissen die Kritiker Lou Reeds Rockoper „Berlin“ in nanogroße Stücke. Vielleicht war 1973 nicht die richtige Zeit dafür. Im Dezember 2006 fühlte sich Lou Reed nun soweit, die Stücke live aufzuführen. Regisseur Julian Schnabel hielt das multimediale Musikkunstwerk fest.

Fazit:
Lou Reeds Rockoper „Berlin“ wartet im Rockmetier mit gängigen Themen auf: Drogenmissbrauch, Prostitution und Suizid. Im Brennpunkt das Junkiepärchen Jim und Caroline. Nachdem die Rockoper bei Fans wie Kritikern keine Gnade fand, leckte Lou Reed über 30 Jahre seine Wunden und führte sein Rockspektakel 2006 an fünf aufeinander folgenden Tagen im St. Ann’s Warehouse in Brooklyn, USA, auf.

Nun, die Songs sind tatsächlich unausgegoren. Das ist nicht das, was man von Lou Reed erwartet. Und damit scheint sich das Problem herauszuschälen. Einen Tick zu gewollt, zu engagiert gebären sich die Kompositionen. Kaum Tiefgang, kaum Höhepunkte. Es plätschert, vereinzelte Aufgeregtheiten entstehen aus vorangegangenen Unaufgeregtheiten. Regisseur Julian Schnabel versucht visuell zu retten, was längst verloren ist. Aufgesetzt amateurhaft sollen die Bilder wirken, Projektionen und Collagen stehen für Herzgefühle und helfen dem Zuschauer nicht gerade seine Konzentration zu fixieren. Ist nun die Musik bedeutend, die multimediale Präsentation oder darf es beides sein? Fast schon wieder stimmig fügen sich die experimentellen Kurzfilme ein, die Julian Schnabels Tochter Lola kreiiert hat.

Erfahrene Schauspieler (Emmanuelle Seigner: Frantic) und Kamerafrauen (Ellen Kuras, die schon mit Jim Jarmusch oder Spike Lee arbeitete) stehen dem Projekt zur Seite, eine letztendliche Befriedigung schafft das jedoch nicht. Alles in allem ein schwieriges Pflaster, das Lou Reed mit „Berlin“ betritt. Fesselnd ist das nicht, langweilig wäre übertrieben. Mit ratlosem Schulterzucken sitzt man nach gut 85 Minuten da und darf sich keinesfalls schlauer nennen.

Zwischen Adenauer-Politik und Vietnamkrieg: „Monks - The Transatlantic Feedback“

Titel: Monks - The Transatlantic Feedback, 2008
Regie: Dietmar Post und Lucía Palacios
Länge: 100 Min.

Zum Film:
Fünf in Deutschland lebende amerikanische Ex-GIs, die während ihrer Militärzeit eine Beat-Band gegründet hatten, trafen auf die beiden Künstler und Beat-Fans Karl Heinz Remy und Walther Niemann. Gemeinsam entwarfen sie ein Band-Konzept, das mit dem gängigen Bild des Beat brechen sollte und sich irgendwo zwischen Adenauer-Politik und Vietnamkrieg, amerikanischer Pop- und wachsender deutscher Gegenkultur – manifestieren sollte.

Fazit:
Ein ebenso schräges wie mutiges Konzept für eine Popband. Die Monks mit Gary Burger (Gesang und Gitarre), Larry Clark (Orgel), Dave Day (Banjo und Gitarre), Roger Johnston (Schlagzeug) und Eddie Shaw (Bass) rasierten sich Tonsuren und trugen anstelle von Krawatten Galgenstricke um den Hals. Die Musik war bestimmt von Aggression, Ironie und Zynismus. Nebenbei entwarfen sie durch die Musik provokante Ästhetik, eben durch die Konstellation zwischen Adenauer und Vietnamkrieg, zwischen amerikanischer Pop- und deutscher Gegenkultur „gefangen“ zu sein.

Dietmar Post und Lucía Palacios schufen aus den persönlichen Erinnerungen der fünf Musiker sowie umfangreichem Archivmaterial einen unterhaltsamen, mit vielen schnellen Bildern unterlegten Film. Trennscharf arbeiten sie die Pole USA/Deutschland, Gesellschaft/Politik und Krieg/Frieden heraus. „Monks - The Transatlantic Feedback“ reiht sich zwischen rückblickender Collage und seriöser Dokumentation ein. Sicher dauert es bis der Film Fahrt aufnimmt, allerdings muss man sich zunächst in eine andere Zeit einfinden. Nebenbei gelingt es dem Film eigene Gedanken und Assoziationen anzuregen.

Wenn man ehrlich ist, sind die Pole USA/Deutschland heute noch so vorzufinden. Natürlich in einer freundlicheren Welt als der des kalten Krieges. Doch die Kriege nennen sich heute nur anders. „Monks - The Transatlantic Feedback“ lässt sich somit nicht nur als Musikfilm betrachten, es gibt ebenso politisches Potential, das man daraus ziehen kann. Und damit vergrößert sich die Bandbreite des Zielpublikums enorm. Unbedingt ansehenswert. Und deshalb wurde der Film unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis 2008 gekürt.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!