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Obsessive Liebesfantasien: Calixto Bieito inszeniert Glucks „Armida“ an der Komischen Oper

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Jene Episode aus Torquato Tassos „Das befreite Jerusalem“, in welcher der Kreuzritter Rinaldo der schönen Zauberin Armida verfällt, ist häufig dramatisiert worden, und sie wurde seit Lully in Frankreich sogar als Nationaloper gefeiert. Der Vertonung von Christoph Willibald Gluck, mit welcher der Opernreformer im Jahre 1777 den Vergleich mit der rund einhundert Jahre älteren Oper in Paris antrat und gewann, begegnet man heute seltener auf den Spielplänen als anderen Vertonungen dieses Stoffes.

An der Komischen Oper Berlin wurde Glucks Heroisches Drama in fünf Akten nun auf den Prüfstand gestellt. Dem Publikumsjubel nach zu urteilen, brachte der Premierenabend der Musik einen vollen Erfolg. Der insbesondere als Lautenist bekannte Konrad Junghänel interpretiert diese dramatisch packende Partitur jenseits der Nummern- und der Da-capo-Arie mit Verve, und das Orchester der komischen Oper folgt ihm, als wäre es auf das Glucksche Amalgam von französischem und italienischem Stil spezialisiert. Die rasche Abfolge der Affekte gibt dem Handlungsablauf einen expressiven Drive. Und Junghänel, der Querstände und Stimmungswechsel herausarbeitet, gelingt die Steigerung in Richtung eines psychologischen Musikdramas.

In der deutschen Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze wird dazu nicht immer textverständlich, aber insgesamt auf sehr hohem Niveau gesungen, allen voran von der schwedischen Sopranistin Maria Bengtsson, die als umjubelter Gast für die Titelrolle an ihr ehemaliges Stammhaus zurückgekehrt ist. Sie exerziert die selbstverliebte, spröde Zauberin als modern gestylte Frau, mit hinreißend intensivem Spiel und dramatischem Gesang und beherrscht durchgehend die Bühne, selbst wenn sie – wie im vierten Akt – nicht zu singen hat.

Die Geschichte der schönen Armida, die das Kreuzritterheer mit höllischen Zauberkräften außer Gefecht setzt und der nur Rinaldo widersteht (was sie in Wut und dann in Liebe versetzt, bis Rinaldo sie verlässt), hat Regisseur Calixto Bieito in unsere Zeit versetzt. Nur ein einziges Rokokokostüm verweist auf die Entstehungszeit der Oper und wechselt spielerisch seine Trägerinnen (Kostüme: Ingo Krügler).

Bieitos Liebesphantasien einer Frau zwischen Träumen, Sehnsüchten und Obsessionen seien erst für ein Publikum „ab 16 Jahren“ bestimmt, so verlautbart die Komische Oper. Denn Armida und ihre Freundinnen Phénice (Olivia Vermeulen) und Sidonie (Karolina Andersson) vertreiben sich die Zeit mit einem guten Dutzend nackter Männer, die sie treten, reiten und flagellieren, und von denen sie sich oral befriedigen lassen, wenn sie sich nicht miteinander in lesbischen Liebesspielen vergnügen.

Einem einzigen, altersmäßig ungleichen, nackten Heteropaar, welches diverse Liebespraktiken in einer Liebesschaukel ausprobiert und schließlich auch an der Rampe kopuliert, steht eine Überzahl an wohl gebauten, nackten männlichen Komparsen und Solisten gegenüber, obendrein ein Schlangendompteur. Sie sollen helfen, Armidas komplexe Psyche zu erklären. Auch der personifizierte Hass, den Armida gegen Rinaldo zur Rate zieht, ist eine Frau (die Mezzosopranistin Maria Gortsevskaya), die der Zauberin durch Anwendung lesbischer Praktiken die Idee Mann drastisch auszutreiben sucht.

Doch wenn Rinaldo die paradiesische Gegend besingt und dabei alle Regionen von Armidas Körper erkundet, gelingt es ihm doch, das Herz der Zauberin zu gewinnen, – und ihr tun es die Zuschauer, berührt vom vokalen Schmelz des dänischen Tenors Peter Lohdahl, gleich. Nachdem Rinaldos Freunde den Kreuzritter zum Gehen überredet haben, streckt Armida den Geliebten mit einigen Pistolenschüssen nieder.

Außer im verfahrbaren Luxus-Einheitsraum für Natur und Schloss (Bühnenbild: Rebecca Ringst) wird auch im Zuschauerraum gespielt, gesungen und gegrölt, wenn nämlich die Komparserie der Kreuzritter das Theater in Hooligan-Manier okkupiert und – wohl unter Berufung darauf, dass Gluck den Schrei gegen den Schönklang setzen wollte – gegen die Musik anblökt. Der Chor der Komischen Oper Berlin (Einstudierung: Robert Heimann) singt jedoch betörend und agiert mit überbordender Spielfreude in zumeist homoerotischen Tableaus.

Ein runder Opernabend, dessen szenische Komponente dennoch weniger zwingend geraten ist als in Calixto Bieitos vorangegangenen Arbeiten an diesem Theater. Das Publikum, offenbar darauf gefasst, was es zu erwarten hatte, sparte sich Unmutsäußerungen bis zum Auftreten des Regieteams auf, jedoch wurde solcher Widerspruch rasch vom überwiegenden Zuspruch erstickt. Allerdings liegt der emotionale Identifikationspegel des Publikums bei einer selten gespielten Oper von Gluck doch deutlich niedriger als bei einer bekannten Mozart-Oper.

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