Diesmal ist es sogar für Entrüstungsstrategen eine politisch korrekte Entdeckung, auch wenn das Buffopaar bei Korngold schon 1931 im harten Marschschritt dem erotischen Vollschuss entgegenvibriert. Erich Wolfgang Korngold, der während des Nationalsozialismus von Wien in die Vereinigten Staaten emigrierte, brachte 1931 am Berliner Metropoltheater seine Operette „Das Lied der Liebe“ heraus, eine sentimentale Erneuerung frei bis ganz frei nach Johann Strauß Sohn. Erstmals gab es beim Abschlusskonzert des Operettenworkshops in der Musikalischen Komödie Leipzig die konzertante Aufführung eines ganzen Werks anstelle eines Konzerts mit Wettbewerbscharakter. Drei hochbegabte Anfänger erhielten durch das Dirigentenforum des Deutschen Musikrats davor die Gelegenheit zu einer Probenwoche auf Expertenniveau.
Alle Zeichen stehen auf Harmonie. Moderatorin Bettina Volksdorf entlockt den drei Teilnehmern und Chefdirigent Stefan Klingele, der vom im Publikum lauschenden Roland Seiffart die Leitung des Operettenworkshops 2015 übernommen hatte, erfahrungsgereifte Aphorismen. Etwa den, dass masochistisch selbstkritische Dirigenten den Vorsatz zur Zufriedenheit vor Vorstellungsbeginn fassen können oder dass im Ernstfall des Liveauftritts die Emotion immer die Schlagtechnik überwältigt. Das Ensemble mit Lilli Wünscher (Diva fast wie „Arabella“), Adam Sanchez (lyrischer Jux-Tenor), Mirjam Neururer („eine vom Theater“), Andreas Rainer (Tenor von Adel) und Anna Evans (erotische Knallsoubrette), dazu der für Christian Geltingers Zwischentexte die richtige Ironie-Würzmischung findende Hans Georg Pachmann und das auf Samt eingestellte Orchester der Musikalischen Komödie bereiten den drei Dirigierkandidaten einen wohlig temperierten Empfang. Der warme Applaus macht große Lücken in den Hörerreihen mehr als wett.
Stefan Klingele würdigt Korngolds Operette, die alles andere als die auf dem Titel der Schott-Ausgabe vermerkte Bearbeitung von Strauß‘ „Das Spitzentuch der Königin“ ist, als ideales Material für dirigierende Operettennovizen. Hier lernen sie neben dem genreüblichen Schmiss die andere wichtige Kompetenz des Metiers: Nämlich die, den Orchestermusikern genauso wichtige Weichheit zu entlocken.
Dazu gibt es im „Lied der Liebe“ überreichlich Gelegenheit: Das frühere Wunderkind legte über die Richtung gute alte Habsburger Monarchie blinzelnde Geschichte verdichtende Rhythmusstrukturen und eine durch aufweichende, dichte Instrumentation: Adeliger Filou mit Spielschulden findet nach irritierenden Komplikationen große Liebe, die allerdings erst ihr Verlöbnis mit einem adeligen Herrn lösen muss.
Dieses Opus mit Liedern für den legendären Richard Tauber hilft einem die zwei Jahre später uraufgeführte „Arabella“ von Richard Strauss besser zu verstehen und ist eine abendfüllende Variationen-Reihe von „Morgenblätter“ und „Geschichten aus dem Wienerwald“. Harfe, Schlagwerk und Orchesterklavier setzen aparte Effekte. Lehárismen wie der Seitenblick zu Rossillons „kleinem Pavillon“ und das für Korngold typische erotisierende Streicherfluidum entkräften die eindeutige Genre-Definition. Dieses feine Salonsilber, in das Korngold vorsätzlich Patina hineinkomponierte, will nicht ohne den elitären Hauch modischer Modernismen auskommen. Spätestens beim Melodram der Diva kurz vor der Lösung des Konflikts wird klar, wie schwer diese delikate Edelschmonzette ist. Ein Hybrid-Werk, dessen praktische Bewältigung neben Operette auch für Richard Strauss und alle Formen von Szenenmusiken eine harte, gute Schule ist.
In etwa drei gleichgroße Dirigierportionen wurde das Filetstück aus dem Berliner Metropoltheater zerlegt und tatsächlich ist in diesen zwei Stunden eine spieltechnische wie interpretierende Diversifizierung durch die drei jungen Dirigenten merkbar.
Valentin Engel, der an der Hochschule für Musik Weimar im Sommer 2017 die Produktion von Puccinis „Gianni Schicchi“ leitete, hatte es zu Beginn am schwersten, den so schwierigen, auch für das Orchester der Musikalischen Komödie eher ungewohnten Gout herzustellen. Er holt die Nebenstimmen in der kurzen Ouvertüre aus dem akustischen Schatten und entgeht dadurch der hier weniger angemessenen Rhythmisierung. Weil die Solisten so sicher sind, kann er sich ganz auf das Orchester konzentrieren, instrumentale Farbwerte wechseln und mischen. Dadurch gelingt ihm ein fast kammermusikalisches und doch angemessen kompaktes Klanggespinst, das feine Zäsuren ins halbszenische Geschehen bringt.
Alexander Sinan Bender, derzeit als Pianist an nordwestdeutschen Theatern gut unterwegs, unterstützt den salonartigen Fluss mit runden kleinen Bewegungen. Stilistisch vielleicht das schwerste an diesem Abend: Das große Walzer-Potpourri ist am wenigstens Korngold, am meisten „echter“ Strauß, bricht deshalb aus den harmonischen Reizwirkungen des „Lieds der Liebe“ heraus. Solisten und Orchester wirken unter Alexander Sinan Binder stärker miteinander verblendet als bei Valentin Egel.
Clemens Mohr, Studienleiter am Theater Hof, übernimmt dort am 13. Januar in Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ sein erstes Nachdirigat. Bei ihm merkt man am meisten einen praktikabel agierenden Zugriff und steuernde Verve. Und er lässt, sofern das nicht durch die vorgegebenen dramatischen Situationen täuscht, die Solisten handfester agieren. Bei ihm wirken alle Beteiligten mit weniger Vorsicht, wie auf vertrautem Terrain.
Ein Gewinn ist der Abend für Akteure und Hörer. Hier haben es die Eleven mit Experten einer souveränen Operettendiktion und musikalischen Könnern des Metiers zu tun haben. Die Bühnenrealität mit Dialogschwierigkeiten internationaler Ensembles und eines im Bühnenalltag oft verwässernder Operettenzugriff schauen vielerorts anders aus. Auf alle Fälle ist ein komplettes, wenn auch spezielles Werk wie „Das Lied der Liebe“ für das Projekt der weitaus bessere Tummelplatz als die überbekannten Gewerbestandards mit Wunschkonzert.
Clemens Mohr
Geboren 1989. Dirigierstudium in Frankfurt (Main) und Weimar bei Prof. Wojciech Rajski und an der Hochschule für Musik »Franz Liszt« Weimar bei Prof. Gunter Kahlert, Prof. Nicolás Pasquet und Prof. Ekhart Wycik. Seit 2016 gefördert durch das DIRIGENTENFORUM des Deutschen Musikrates. Meisterkurse u.a. bei Bernard Haitink, Peter Eötvös, Jorma Panula. Assistenzen bei der Jungen Oper Schloss Weikersheim, der Sommer Oper Bamberg und den Bamberger Symphonikern. Zusammenarbeit mit der Jungen Oper Rhein-Main und der Kammeroper Frankfurt. Seit der Spielzeit 2017/18 Studienleiter am Theater Hof.
Alexander Sinan Binder
Geboren 1990. Seit 2010 Dirigierstudium bei Prof. Rüdiger Bohn an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf. Seit 2016 gefördert durch das DIRIGENTENFORUM des Deutschen Musikrates. 2017 Auslandssemester an der Zürcher Hochschule der Künste bei Prof. Johannes Schlaefli. Meisterkurse bei Prof. Colin Metters, Prof. Peter Gülke und Prof. Johannes Schlaefli. Engagements als musikalischer Assistent, Korrepetitor und Pianist an der Deutschen Oper am Rhein, am Theater Osnabrück sowie am Staatstheater Mainz.
Valentin Egel
Geboren 1994. Seit 2014 Dirigierstudium an der Hochschule für Musik »Franz Liszt« Weimar bei Prof. Nicolás Pasquet, Prof. Ekhart Wycik und Prof. Gunter Kahlert. Seit 2017 gefördert durch das DIRIGENTENFORUM des Deutschen Musikrates. Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Akademischen Orchesters Ilmenau und der Jungen Symphoniker Südbaden. Künstlerischer Leiter bei der studentischen Opernproduktion von Puccinis „Gianni Schicchi“ im Jahr 2017. Auszeichnung durch die Neue Liszt Stiftung Weimar mit dem Charlotte-Krupp-Stipendium. Seit dem Wintersemester 2017/18 Dirigent des Studenten-Sinfonieorchesters der katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Freiburg. Erster Preisträger des 8. Dirigierwettbewerbs der Mitteldeutschen Musikhochschulen des MDR Sinfonieorchesters.