Es ist Deutschlands jüngstes Opernhaus: das Theater Erfurt. Vor zehn Jahren öffneten sich die Pforten zu dieser gediegenen Spielstätte, ziemlich zentral gelegen nördlich des Domes. Von Anfang an gab es an diesem Ort viele spannende künstlerische Erlebnisse, vor allem im Bereich Musiktheater. Nicht weniger als elf Uraufführungen sind es, um die Intendant Guy Montavan sich sehr erfolgreich bemüht hat und die er weitgehend sehr überzeugend umsetzen konnte.
Zur Jubiläumsspielzeit lieferten die Erfurter nun auch ihren Beitrag zum Verdi-Jahr mit dem vieraktigen italienischen Don Carlo und engagierten Stefano Poda, einen Regisseur, der bereits in ganz Europa inszeniert hat – aber hier zum ersten Mal an einer deutschen Bühne.
Auf eine dunkle, ja geradezu düstere Welt fällt der Blick, während sich der Vorhang zur Ouvertüre hebt: Schwarz und fahles Grau bestimmen die Optik. Und ziemlich schnell meldet sich auch die gut ausgestattete Erfurter Bühnenmaschinerie als äußerst aktives Mittel dieser Inszenierung: Hubpodeste werden hinauf- und hinunter gefahren, große und plakative Bilder entstehen. Das Kloster San Juste erscheint – es ist in seinem Keller mit Leichen gepflastert. Ein Kruzifix hängt darin senkrecht vom Boden herab, ein paar Etagen darüber schwebt ein überdimensional riesig abstraktes Modell eines Himmelskörpers (ist es die Sonne?), um die (virtuell) andere Objekte kreisen.
Später beherrscht eine monumentale verknöcherte und sehnige Hand mit ihren dürren Fingern die gesamte Bühne, auf der sich Filippo II., Marchese di Posa und der unheimliche Großinquisitor bewegen. Große und stark wirkende Symbole also, die Stefano Poda da einsetzt. Symbole, deren Kraft sich allerdings schnell erschöpft und die an der Oberfläche bleiben, nicht vordringen zu den zutiefst menschlichen Beziehungsproblemen in diesem Drama. Mit Kühle und Distanz begegnen sich die Figuren, die Poda hineinstellt in einer Atmosphäre, die den Geist der Mächtigen im Zeitalter der Renaissance zitiert. Das machen vor allem auch Podas schwere, korsetthafte Kostüme deutlich.
Gar keine Frage: dieses Bühnengeschehen beeindruckt, ruft Staunen hervor, nicht zuletzt beim Autodafé, zu dem ein riesiges Weihrauchfass geschwenkt wird. Wenn man allerdings intensiver schaut, bleibt nicht viel mehr übrig als große Posen, von den Figuren in ihren beeindruckenden Mänteln großartig bewältigt.
Dass Verdis Don Carlo im Theater Erfurt dennoch am Premierenabend schwere Begeisterung hervorruft, liegt vor allem am singenden Personal. Der von Andreas Ketelhut bestens einstudierte Chor meistert die anspruchsvollen Aufgaben souverän. Das gilt ebenso für die Darsteller der kleineren Partien wie etwa den flandrischen Deputierten, die Dessislav Popov, Gonzalo Simonetti und Nils Stäfe sowie Michael Borth, Johannes Leuschner und Hao En Xing, allesamt Studierende der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar darstellen. Jörg Rathmann als Conte di Lerma macht seine Sache ebenso gut wie Daniela Gerstenmeyer: ihr Tebaldo wird allerdings von der Regie ziemlich vernachlässigt.
Die meisten großen Rollen kann das Erfurter Haus aus dem eigenen Ensemble heraus besetzen und stellt damit seine Leistungsfähigkeit deutlich unter Beweis. Vazgen Ghazaryan mag es als Großinquisitor vielleicht noch an finsterer Tiefe fehlen, ein darstellerisches Schwergewicht ist er auf jeden Fall. Richard Carlucci in der Titelpartie muss am Premierenabend einem Fieber Tribut zollen. Doch seine bravouröse erste Arie „Io l'ho perduta!“, in die er alles an Emotionen hineinlegt, zeigt, dass er den Don Carlo sicher zukünftig strahlend darstellen wird.
Dariya Knyazyeva ist vor allem in ihrem „O don fatale“ eine profunde Eboli mit bronzen strömender Stimme. Voll und ganz überzeugt Ilia Papandreou als Elisabetta. Voller zarter Töne, leidvoller Verzweiflung und doch kämpferisch bietet sie eine durch und durch erstklassige Rollengestaltung. Das gilt in hohem Maße auch für Kartal Karagedik. Sein wendiger, ebenmäßiger und klangintensiver Bariton sowie seine enorme Bühnenpräsenz geben dem Marchese di Posa durch und durch glaubwürdige Gestalt – sicher die Entdeckung des Abends.
Dass den Höhepunkt im hochklassigen Ensemble dennoch der einzige Gast setzt, darf niemanden wundern, gab doch Georg Zeppenfeld, der an den großen Opernhäusern der Welt zu Hause ist, den Filippo. Und was sein so selbstverständlich anspringender volltönender Bass an Gefühlsnuancen hervorzaubern kann, ist wirklich einzigartig. Zärtliche Liebe, grenzenlose Einsamkeit und Verzweiflung bietet er, aber auch stählerne Härte und eiskaltes Kalkül – schlichtweg umwerfend.
Manlio Benzi und das Philharmonische Orchester Erfurt stürzen sich lustvoll in das Meer aus Gefühlen, das Verdi in seiner Partitur ausbreitet. Und doch könnte der Dirigent noch ein Quentchen mehr an Temperament versprühen – was nicht einhergehen muss mit gesteigerter Lautstärke. Die nämlich ist schon reichlich vorhanden, wenn Holz und Blech richtig aufdrehen.
Erfurts Premierenpublikum ist von diesem spektakulären Abend sichtlich beeindruckt und honoriert ihn mit Standing Ovations – und mit sehr genau dosiertem Beifall für die Solistinnen und Solisten.
Weitere Aufführungen Sa, 28.09. - Fr, 11.10. - So, 03.11. - Sa, 23.11. - So, 08.12.2013 - Fr, 07.03. - Mi, 09.04. - Sa, 04.05.2014