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Wilfried Schulz. Foto: Matthias Horn
Wilfried Schulz. Foto: Matthias Horn
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„Politik identifiziert sich weniger mit Kultur“

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Intendant Wilfried Schulz im Gespräch. Was passiert, wenn ein Theater kein Haus hat? Es wird zur Wanderbühne. In Düsseldorf kämpft Intendant Wilfried Schulz für den Erhalt und die Bedeutung des Schauspielhauses.

Wilfried Schulz (64) hat einen nervenaufreibenden Intendanten-Job in Düsseldorf: er macht Theater ohne ein Theater.

Seit Anfang 2016 ist das Schauspielhaus wegen Sanierung geschlossen, und wann es wiedereröffnet wird, weiß keiner so genau. Das aber konnte Schulz nicht absehen, als er sich von Dresden nach Düsseldorf locken ließ. Sein Auftrag lautete, Düsseldorf wieder an der Spitze der deutschen Theaterlandschaft zu positionieren. Doch bisher muss Schulz vor allem an diversen Ausweichspielstätten improvisieren. Und es zeigt sich: auch ohne Theater ist er erfolgreich. Die Deutsche Presse-Agentur sprach mit Schulz über Optimismus, Ausnahmezustände und darüber, warum das Theater in Zeiten des Populismus und der „postfaktischen Diskussionen“ besonders wichtig ist.

Frage: Sind Sie ein optimistischer oder eher ein pessimistischer Mensch?

Antwort: Ich bin ein realistischer Mensch, der versucht, sich so spät wie möglich seinen Optimismus klauen zu lassen.

Frage: Ist Ihr Optimismus in Düsseldorf schon geklaut worden?

Antwort: Schwere Frage (Schulz atmet durch und überlegt). Ich gehe nach wie vor davon aus, dass die Aufgaben, für die ich nach Düsseldorf gekommen bin und die verabredet worden sind, weiterhin zu erfüllen sind. So lange ich eine Chance sehe, dass das in einem überschaubaren Zeitraum passiert, ist das gut.

Frage: Was war Ihr Auftrag?

Antwort: Mein Auftrag und Anliegen war erstens, das Haus wieder kommunikativ in die Stadt zu bringen, es für die Generationen und die Schichten dieser Stadt zu öffnen und zu einem kulturellen Mittelpunkt, zu einem Begegnungsort zu machen. Das zweite war, das Haus wieder innerhalb der deutschsprachigen Theaterlandschaft zu positionieren. Dafür habe ich die Brocken in Dresden hingeworfen und mich verführen lassen, weil ich das als reizvolle Aufgabe empfand.

Frage: Wann glauben Sie, wird das Schauspielhaus Düsseldorf seine Türen wieder öffnen?

Antwort: Wir haben jetzt Eckdaten. Wir wissen, dass bis Ende 2019 vor dem Haus erheblich gebaut und dadurch unsere Arbeit weitgehend unmöglich wird und dass wir frühestens im Herbst 2018 in das Schauspielhaus zurückkommen, wenn auch noch durch die Baustelle direkt vor der Tür eingeschränkt. Außerdem verhandele ich darüber, die Schließzeit des Hauses für notwendige Sanierungen und Modernisierungen am und im Theater zu nutzen.

Frage: Also wollen Sie auf jeden Fall 2018 wieder drin sein?

Antwort: Natürlich. Ich glaube, dass man signalisieren muss, dass das Schauspielhaus dem Schauspielhaus gehört und dass es präsent ist. Wir werden bereits im Frühsommer 2017 quasi auf der Baustelle dort die Robert-Wilson-Inszenierung „Der Sandmann“ stattfinden lassen – alle Verträge dafür stehen.

Frage: Das Zelt an der Kö begeisterte im Sommer die Zuschauer. Auch ohne Schauspielhaus sind Sie unglaublich präsent in der Stadt. Werden Sie zum Opfer Ihres eigenen Erfolgs in den Ersatzspielstätten?

Antwort: Das Eine ist das Event und auch die Geste, dass wir in die Stadt hineingehen. Das Andere aber ist ein Ort der Identität mitten in der Stadt, wo man unter vernünftigen Bedingungen großes Stadttheater machen kann. Die Außenspielstätten haben sozusagen den Charme des Ausnahmezustandes. Aber sie bieten dauerhaft keine Arbeitsbedingungen.

Frage: Zehrt der dauerhafte Ausnahmezustand und das Provisorium an den Nerven der Künstler und des Personals?

Antwort: Ja. Das Central als Ausweichspielstätte entspricht natürlich nicht einem normalen Repertoiretheater – von den Garderoben über die Zufahrtswege, die Bühnentechnik, den Service für das Publikum bis hin zu den Aufenthaltsräumen. Das Problem ist, dass viele Leute neu sind bei uns, und die haben das Schauspielhaus noch nie betreten. Auch die Kommunikation ist wahnsinnig schwierig. Wir sitzen im ehemaligen Balletthaus in Oberkassel und ich sehe manchmal tagelang keinen Schauspieler. Ein Theater ist eigentlich ein Biotop vieler Verschiedener. Alle sitzen unter einem Dach und laufen sich den ganzen Tag bei der Kunstproduktion über den Weg. Das vermittelt einen gemeinsamen Geist und das Bewusstsein eines Zieles, auf das man hinarbeitet.

Frage: Sie sind in dieser Situation nicht allein. Es gibt diverse Ensembles, die durch die Städte vagabundieren. Für einen Milliardenbetrag werden Theater und Opernhäuser in Deutschland saniert. Die Bühnen stecken aber auch in einer Legitimationsdebatte. Düsseldorf ist das beste Beispiel. Der Oberbürgermeister stellte das Schauspielhaus öffentlich in Frage.

Antwort: Die Frage, ob man großes Stadttheater noch braucht und wenn ja, an welchem Ort, ist von der Politik provoziert worden.

Mittlerweile hat sich eine große Öffentlichkeit dieser Stadt, Menschen aus allen Bereichen, für dieses Theater und das Schauspielhaus positioniert. Das war ein starkes Statement. Und wir merken auch am großen Interesse an unserer Arbeit und am sehr guten Besuch, dass die Menschen dieses Theater wollen und brauchen. Nicht das Theater ist in der Krise, vielmehr ist offensichtlich nur die Identifikation der Politik mit der Kultur geringer geworden.

Frage: Wozu wird Theater heute gebraucht?

Antwort: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es in dieser Zeit der postfaktischen Diskussionen öffentliche Orte der friedlichen Auseinandersetzung, des Nachdenkens und Nachfühlens geben muss. Man wird diese Orte, wo man friedlich und einlässig miteinander spricht, eine Sache untersucht und verhandelt, noch verdammt brauchen.

Frage: Dresden war da mit Pegida auch ganz klar Frontstadt.

Düsseldorf aber liegt tief im Westen und ist bequemer. Wofür wollen Sie hier kämpfen?

Antwort: Auch Düsseldorf ist nicht unberührt von den Krisen in der Welt. Natürlich werden wir Themen aufnehmen wie die Zukunft Europas, den Populismus und die Legitimation von Demokratie. Auf eine schleichende Art und Weise ist auf einmal Demokratie nicht mehr das selbstverständliche gegenwärtige Staatsmodell. Wer hätte das gedacht, dass wir noch einmal in der eigenen Bevölkerung die Demokratie gegenüber autoritären Systemen legitimieren müssen?

Frage: Also muss nicht das Theater seine Existenz legitimieren, sondern es ist dazu da, die Demokratie zu legitimieren?

Antwort: Auch. Ich glaube, dass das Theater ein guter Ort ist, um über Demokratie nachzudenken und auch Demokratie zu erfahren, weil wir in unserer Kunst nachdenklich und abwägend sind. Mit welcher Figur auf der Bühne identifiziere ich mich? Mit Don Karlos oder König Philipp, mit Hamlet oder der Königin, mit der Macht oder Gegenmacht?

Das wird verlernt im Moment, weil man immer nur Bestätigung erfahren will. Aber wir bestätigen nicht. Theater muss nicht Recht haben.

Frage: Es gibt derzeit eine Debatte über die Macht der Theater-Intendanten. Finden Sie als Intendant, dass Intendanten zu mächtig sind?

Antwort: Ich leite einen Betrieb von etwa 300 Mitarbeitern. Wir Intendanten sind nicht irgendwelche genialischen Selbstverwirklicher, sondern wir leiten diese Betriebe jeden Tag im Team mit einer großen Verantwortung. Wir arbeiten nach sehr strengen Wirtschaftsplänen und haben mit Aufsichtsrat und Gesellschaftern, auch dem Betriebsrat starke Kontrollinstanzen. Der Unterschied ist, dass bei uns nicht Schrauben produziert werden, sondern dass Menschen mit einem hohen Grad an Identifikation, expressiver Subjektivität und Verausgabung auf der Bühne stehen. Das führt manchmal zu Kollisionen – und das gehört dazu.


ZUR PERSON: Egal wo Wilfried Schulz (64) Theater macht, der gelernte Dramaturg ist überall erfolgreich. Als Intendant verschaffte der 1952 in Falkensee bei Berlin geborene Schulz den Theatern in Hannover (2000-2009) und in Dresden (2009-2016) bundesweites Renommee. Auch in Düsseldorf, wo er zur Spielzeit 2016/17 antrat, erhielt er trotz der widrigen Umstände, wegen der jahrelangen Schließung des Schauspielhauses, bisher Bestnoten. „Subventioniert werden wir nicht für das Einfache, sondern für das Komplizierte“, lautet sein Credo.

 

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