Auf den Menschen Hans Pfitzner und seine kruden politischen Äußerungen angesprochen, erwiderte Simone Young, die Dirigentin des Münchner Palestrina vielsagend: „Sagen wir es mal so: Seine Musik ist deutlich besser als seine schriftlichen Werke.“ Dies und die Tatsache, dass die „Musikalische Legende“ Palestrina im Juni des Jahres 1917 im Münchner Prinzregententheater ihre Uraufführung erlebte, sichert dem Stück eine ganz besondere Aufmerksamkeit in der Bayerischen Landesmetropole.
Dreißig Jahre nach der letzten Inszenierung setzt Intendant Nikolaus Bachler also ganz auf bayerische Unterstützung, die in diesem Metier bereits Erfahrung gezeitigt hat. Mit Christian Stückl, dem regieführenden Intendanten des Münchner Volkstheaters (Regie) und Stefan Hageneier (Bühne und Kostüme) sind zwei Künstler in der Verantwortung, die als gebürtige Oberammergauer bereits drei Mal die alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspiele szenisch betreut haben. Neben dem Jedermann bei den Salzburger Festspielen (2003) hat Stückl 2004 in Köln auch Beethoverns Fidelio inszeniert.
Nun also Pfitzners Palestrina; ein Werk über das Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft, die Situation des Künstlers im politischen und gesellschaftspolitischen Umfeld und schließlich über die Frage nach dem Woher des schöpferischen Werks. Pfitzner, der gegen Busonis Futuristenmusik zu Felde gezogen ist, macht sich im Palestrina noch einmal stark als Verteidiger der romantischen Inspirationsästhetik. So wenn er Palestrina die entscheidenden Eingebungen zu seiner Messe direkt von Engeln empfangen lässt. Soweit so gut, aber was hat uns das am Beginn des 21. Jahrhunderts zu sagen?
Und so bestätigt sich die These Wolfgang Rihms: Viel selbsterzeugter Schutt verstellt Pfitzners Physiognomie. Diesen ohne Wenn und Aber weggeräumt zu haben ist die Leistung der Münchner Produktion. Christian Stückl stützt sein szenisches Konzept auf die Geschichte hinter der Geschichte. Wer genau beobachtet, merkt sehr bald, dass die vielen Prälaten und Kardinäle oder die Auseinandersetzungen um die richtige Kirchenmusik beim Tridentinischen Konzil, nur ablenken von der eigentlichen Botschaft des Komponisten, der Unmöglichkeit des Zusammenlebens von Kunst und Gesellschaft. Dies wird an einer der Schlüsselstellen im 2. Akt deutlich, wenn sich zwei Kardinäle über die Schwierigkeiten von Palestrinas Schaffensprozess unterhalten und überheblich ihren Standpunkt deutlich machen: „Es wünschen es die Großen dieser Welt – Wenn solche Mächte wollen, muß es gehn!“
Da sprechen keine Kirchenmänner, das ist die beständige Arroganz der Mächtigen, für die die Kunst oftmals nicht mehr ist, als „das kleine Menschenwerklein“. So weit ihm möglich, meidet Stückl die kirchliche Konnotation und zeigt die handelnden Personen in ihren Machtabhängigkeiten. Dies gelingt auch durch grelles Hervorheben und plastisches Überzeichnen, wenn etwa Engel ganz real, aber in poppigem grün erscheinen oder die Kirchenfürsten in der langen Strechlimousine samt dunkelhäutigem Fahrer erscheinen…
Palestrina ist eine Ensembleoper, aber auf höchstem Niveau, die eine Vielzahl hervorragender Protagonisten verlangt. Und davon gab es in München zuhauf; allen voran der englische Tenor Christopher Ventris, der seinem Palestrina Glut und Leidenschaft verlieh. Neben ihm brillierten Michael Volle (Morone), John Daszak (Novagerio), Falk Struckmann (Borromeo) und Wolfgang Koch (Graf Luna). Christiane Karg in der Rolle des Ighino war der Liebling des Münchner Publikums, das auch Simone Youngs Dirigat mit stehenden Ovationen bedachte.