Für dieses Projekt wurden Hunderttausende Lieder ausgewertet. Der Trend zur Einfachheit könnte mit der Logik von Streamingdiensten zusammenhängen. Für die gestiegene Wut gibt es eine andere Erklärung.
Wien - Einfacher und zorniger: In diese Richtung hat sich westliche Popmusik in den vergangenen Jahrzehnten laut einer großen Studie entwickelt. Forscherinnen und Forscher in Österreich und Deutschland werteten Texte von mehr als 350 000 englischsprachigen Liedern aus, um diese Trends aufzuzeigen. Frühere Untersuchungen zu einzelnen Aspekten von populärer Musik seien zwar zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, doch nun sei eine Reihe von verschiedenen Genres über einen langen Zeitraum ausgewertet worden, heißt es in der Studie, die im Fachblatt «Scientific Reports» veröffentlicht wurde.
Die spartenübergreifende Analyse von Rap-, Country-, Pop-, Rock- und R&B-Songs zwischen 1980 und 2020 zeigte, dass die Struktur der sogenannten Lyrics immer simpler geworden ist. Text-Elemente werden häufiger wiederholt, Refrains nehmen einen größeren Raum ein, und das verwendete Vokabular ist einfacher geworden, wie Mitautorin Eva Zangerle von der Universität Innsbruck der Deutschen Presse-Agentur erklärte.
Warum Songs heute mit einfacheren Mitteln schnell auf den Punkt kommen und diesen dann immer und immer wiederholen, wurde nicht untersucht. Doch laut Zangerle könnte die Entwicklung auch damit zusammenhängen, wie Lieder heute online gestreamt und konsumiert werden.
«Die ersten 10 bis 15 Sekunden sind entscheidend», sagte sie der dpa. «Je öfter ich einem Text ausgesetzt bin, desto mehr wird er zum Ohrwurm.» Musikschaffende produzierten ihre Songs so, dass sie möglichst oft «gestreamt, geklickt und gesehen werden», sagte Co-Autorin Elisabeth Lex von der Technischen Universität Graz. Musik werde im Alltag mittlerweile auch oft nur als akustischer Hintergrund konsumiert, so Lex, die wie Zangerle zu Algorithmen von Online-Plattformen forscht.
Konkrete Künstlerinnen und Künstler wie die aktuellen Superstars Taylor Swift oder Miley Cyrus wurden in der Studie nicht einzeln analysiert. Das wäre «cherry picking», also Rosinenpickerei, sagte Zangerle. Stattdessen wurden Erkenntnisse aus riesigen Datenmengen gewonnen.
Über alle Genres hinweg seien die Texte zorniger geworden, heißt es in der Studie. Zudem deuten die Daten darauf hin, dass bei Rhythm-'n'-Blues-, Pop- und Country-Musik der Anteil an positiven Gefühlen abgenommen habe, während in der Rap-Musik Emotionen heute eine größere Rolle spielten als noch vor einigen Jahrzehnten. «Emotion erzeugt immer Aufmerksamkeit», sagte Lex. Zangerle wies darauf hin, dass neben Marketing-Aspekten auch globale oder gesellschaftliche Entwicklungen eine Rolle spielen könnten. «Die allgemeine Stimmung ist vermutlich gefühlt schlechter geworden», sagte sie.