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Titelseite der nmz 2022/02
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Porte-Feuille-Ton

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Theo Geißler über die Zweiklassen-Schere im Kulturbereich
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Laut schallt ein Notruf durch die öffentlich-rechtlichen und sonstigen werbefinanzierten Medien: Hotels und Gasthäuser zerbröseln unter den seuchenbedingten Zugangsrestriktionen namens Zwonull, Zwonullplus, geboostert oder gesundet – nur arithmetisch universitär Gebildete und diplomiertes medizinisches Fachpersonal blicken da noch durch. Die eher schlecht bezahlten Servicekräfte, auch noch des vollen Trinkgeldes entblößt, fliehen in andere berufliche Umfelder, beginnen beispielsweise ein Fernstudium in BWL oder gründen ein Metaversum-Startup auf den Komoren. Ist nicht böse gemeint…

Dabei ist die unternehmerische Situation ihrer Arbeitgeber bei weitem nicht so elend wie beispielsweise die freier Ensembles, soloselbstständiger Kultur-Schaffender oder -Veranstaltungsunternehmer: Während sich die Beherbergungs- und Ausschank-Lobby – unter politischen Opportunitätsaspekten gewissermaßen als systemrelevant anerkannt – wenigs­tens einige umsatzgenerierende Öffnungsmöglichkeiten und relativ locker zu beantragende Ausfall-Subventionen erkämpft hat, darben nicht festangestellte Künstler, begleitet von kalorienlos-sülzenden Sonntagsreden und knochenhartem Antrags-Check durch zuteilende kommunale oder staatliche Institutionen. Willkommene Arbeitsbeschaffung für Amtsstuben-Behauste, deren Salär und Heizkosten regelmäßig aus Steuergeldern finanziert werden.

Allerdings öffnet sich auch im Kulturbereich derzeit eine Zweiklassen-Schere: Sozio-Zyniker ziehen einen schiefen biblischen Vergleich heran: Kluge Jungfrauen – also festangestellte, gewerkschaftlich organisierte Menschen, beispielsweise in Orches­tern, öffentlich-rechtlichen Redaktionen oder gar beamtet in Kulturverwaltungen Abgesicherte – haben rechtzeitig genug Öl in ihre Leuchtlämpchen gefüllt. Die weniger Klugen, nicht mit ausreichend brennbarem Schmiermittel bevorratet, stehen jetzt im Dunklen – und da sieht man sie so schlecht…

Da kommt auch keine echte Freude auf, wenn im Gewerkschaftsblatt der Deutschen Orchestervereinigung der Tod des einst institutionsstabilisierenden Feuilletons konstatiert wird (eine gesicherte Diagnose?). Und andererseits in öffentlichen Statements angeblich fantasievolle (glaubwürdige?) Marketing-Tricks aus dem Repertoire der Gesundbeter und Werbespot-Philosophen als autarke Rettungsboote im ökonomischen Malstrom des schwarzen Corona-Loches gepriesen werden; oder alternativ Zehnminuten-Konzerte für eine solvente Kundschaft (immerfort „Bolero“?).

Wir beobachten in unserem Non-Feuilleton-Blatt jedenfalls mit Angst und Bedauern das Abwandern vieler gerade auch junger musikalischer und pädagogischer Begabungen in ganz andere Sparten. Vielleicht sammeln sie als Fachkräfte im Bereich Pizza-Lieferung oder Automatenbefüllung ja Erfahrungen, die später, in besseren Zeiten, ihre musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten erweitern. Oder sie sammeln ein wenig Öl für die materielle Nach-Corona-Dürre, von der – mangels erkennbarer Systemrelevanz – Kunst und Kultur vermutlich hart betroffen sein werden.

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