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Foto: Bühnen der Stadt Gera
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Posthume deutsche Erstaufführung in Gera: Jaromír Weinbergers Oper „Wallenstein“

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Wer Publikationen über den 1896 in Prag geborenen Komponisten der Erfolgsoper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ sucht, stößt auf eine deutliche Lücke. Dies ist um so erstaunlicher, als Jaromír Weinberger den Holocaust überlebte und erst 1967 – durch Suicid – gestorben ist. Nach seiner Emigration in die USA beschäftigte sich Weinberger in erster Linie mit Fotografie – auch ein dankbarer Stoff für Publikationen –, lebte nach dem Weltkrieg als amerikanischer Staatsbürger in Leningrad und verbrachte die Sommermonate in Europa.

Allerdings stieß in jenen Jahren die (tonale) Postromantik auf taube Ohren, wie es beispielsweise auch Erich Wolfgang Korngold und Berthold Goldschmidt erfahren mussten.

„Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ lebt, wie es Ferdinand Pfohl anlässlich der Hamburger Erstaufführung konstatierte, von jenen Topoi der Hölle und des Teufels, die um die Jahrhundertwende auch Siegfried Wagners Opernerstling einen übergroßen Erfolg beschert hatten. Und zwei weitere Topoi in Siegfried Wagners „Der Bärenhäuter“ (und dann auch in der in Böhmen angesiedelten Handlung von „Schwarzschwanenreich“) sind der Dreißigjährige Krieg und Wallenstein. Schillers „Wallenstein“-Trilogie nutzt Weinberger als Vorlage zu seiner gleichnamigen Oper in sechs Bildern, die im November 1937 in Wien uraufgeführt wurde, aber – infolge des vier Monate später vollzogenen Anschlusses an Nazi-Deutschland – an der nachmaligen Staatsoper nur vier Aufführungen erlebte.

Die fünfte Vorstellung dieser Oper war nunmehr die deutsche Erstaufführung an den Bühnen der Stadt Gera, – einerseits ein Beitrag zum Schiller-Jahr, andererseits die sinnvolle Fortsetzung der Wiederentdeckung von Opern des 20. Jahrhunderts, wie zuletzt mit Pavel Haas’ „Scharlatan“.
Im Gegensatz zu Franz Schreker, aber in Konkordanz mit Zemlinsky, erkennt man den Komponisten des „Schwanda“ bestenfalls an der Verarbeitung des Materials, nicht aber explizit an einem Personalstil im späten „Wallenstein“ wieder. Nur im ersten Bild klingt kurz eine tschechische Volksweise an. Die vergleichsweise „modernste“ Musik wählt Weiberger für seine Titelfigur, den überaus reichen und machtpolitischen Herzog zu Friedland, der um eines angestrebten Friedensschlusses willen zum Verräter am Kaiser wird und – entgegen seinem festen Glauben an sein Horoskop – durch Intrige und Verrat einstiger Getreuer zu Tode kommt.

Obgleich Weinberger in seine Opernhandlung behutsam Parallelen zur aktuellen Zeitgeschichte eingebaut hat, mag deren seinerzeitiger – in den Tageszeitungen bis auf „Das kleine Blatt“ unterdrückter – triumphaler Erfolg an den sehr eingängigen Melodien liegen. Getreu der Maxime, ein Erfolgsstück benötige mindestens einen Ohrwurm, ist dem Komponisten mit dem Pappenheimer Marsch ein solcher geglückt. Ansonsten herrscht all zu viel Parlando, weshalb der Komponist bei den Proben in Wien noch drei Arien nachkomponiert hat, die allerdings keinen Eingang mehr in den Klavierauszug der bei Boosey & Hawkes verlegten Oper gefunden haben.
Im Gegensatz zu Schrekers Partituren mischt sich Weinbergers Stilvielfalt, die thematisch am besten seiner Oper „Das Schlaraffenland“ entspricht, nicht zu einem spezifischen Mischstil. Im dritten Bild integriert er eine lyrische Emphatik, die jedem Musical Ehre machen würde. Nicht zufällig führte diese Tendenz Weinberger auch hin zur leichteren Muse, der 1933 in Berlin mit Richard Tauber uraufgeführten Operette „Frühlingsstürme“.

Unter der musikalischen Leitung von Jens Troester lässt das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera Weinbergers Melodien im leicht gekürzten „Wallenstein“ aufklingen und bisweilen verführerisch schillern. Regisseur und Intendant Matthias Oldag hat die Handlung in einem auf Wasserbecken errichteten Einheitsraum von Thomas Gruber intensiv in Szene gesetzt und Max Brods deutsche Textfassung – Schiller gemäß – revidiert. Im Schlussbild erweitert Oldag den Spieltraum auf das Auditorium, und Wallensteins Schwester (packend: Elvira Dreßen) nimmt ihren Abschied im ersten Rang.

Der von Nikolaus Müller einstudierte Opernchor der Theater&Philharmonie Thüringen (als glatzköpfige Söldner und Pappenheimer; Kostüme: Mathias Rümmler) vermag auf und hinter der Szene zu überzeugen. Fremd den Seinen und mit sich selbst unerbittlich, gestaltet der Bariton Teruhiko Komori die Titelfigur, glänzend in Diktion und Stimmführung. Einnehmend der Tenor Vincent Wolfsteiner als Max Piccolomini. Die Sopranistin Marie-Luise Dreßen, als ein im Wasser geschundenes Mädchen, vermag stimmlich mehr zu überzeugen als die dramatische Franziska Rauch, die in der Partie von Wallensteins Tochter Thekla häufig mit der Intonation zu kämpfen hat. Insgesamt aber ist das zwanzigköpfige Solistenensemble überdurchschnittlich gut besetzt.

Bedauerlich, dass diese Wiederentdeckung nicht vom MDR übertragen wurde. Oper und Interpretation hätten es verdient!

Termine:
06. 11., 27. 12. 2009, 15. 05. 2010 Bühnen der Stadt Gera

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