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Man lauscht der Muschel. Foto: Martin Hufner
Man lauscht der Muschel. Foto: Martin Hufner
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Postmoderner Barock in 3-D – Pathos und Mystik im Hamburger Bahnhof

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Die große Ausstellungshalle des Hamburger Bahnhofs ist von Kunst leergeräumt. Statt dessen hängen, stehen und liegen 98 Lautsprecher verteilt im Raum. Sie dienen dazu Klänge durch den Raum fliegen zu lassen oder exakt an bestimmte Orte zu platzieren. Es geht um akustische Kunst, technisch hochartifiziellisiert. Der Hamburger Bahnhof in Berlin, das Museum für Gegenwart, öffnet nach kurzer Pause mit der spartenübergreifenden Arbeit „The Murder Of Crows“ von Janet Cardiff und George Bures Miller opulent auf.

In drei Teilen und über 30 Minuten versuchen die Künstler eine Art Konstruktion albtraumhaftes Geschehen zu erzeugen, mit ihren Klängen und den erhofften durch sie evozierten Bildern in den Ohren und Köpfen der Besucher. Sie benutzen zu diesem Zweck einen Grammophone-Trichter mitten im Raum, der geflüsterte Texte mit Albtraum-Protokollen wiedergibt und vor dem sich das Publikum einfinden kann. In den daran angrenzenden und die Protokolle überlappenden Phasen ziehen Geräusche durch den Raum, aber es erklingt auch komponierte Musik. Musik, die wohl teilweise eigens für diesen Zweck komponiert worden war. „Der Titel der Installation »The Murder of Crows« bezieht sich auf die englische Bezeichnung für einen Schwarm von Krähen und das ungewöhnliche Phänomen, das als ‚Krähenbegräbnis’ bekannt ist: Beim Tod einer Krähe kommen viele Artgenossen zusammen und stimmen, mitunter über 24 Stunden lang, eine Totenklage an“, liest man im Programm-Zettel und auch, dass die Radierung »Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer« von Francisco de Goya aus dem Zyklus »Caprichos« von 1799 eine weitere Referenz bilde.

Man geht, wie so häufig in der Kunst, gerne auf das Ganze und das Programmheft interpretiert das Ganze so: „Die Klangarbeit gerät zu einem Requiem für eine aus den Fugen geratene Welt, in der ein Mangel an Vernunft, aber auch ein Übermaß an Zweckrationalität unvorstellbare Grausamkeiten, Tollheiten und Katastrophen zur Folge hat.“

Und wie so häufig sind Realität und Wunsch- oder Albtraum nicht miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Da wären die komponierten Stücke, die teilweise wie nachträglich mit Patina überzogene Musik aus alter Zeit klingt – also wie postmoderner Barock. Auch wenn die russische Gesangstruppe und das Blasorchester mit einem Revolutionslied durch die 98 Lautsprecher stampft, kann man sich natürlich eingelullt fühlen, bedroht oder beschützt (wie man das von Armeen ja gerne hätte).

Dabei ist die technische Herstellung dieser Klangskulptur durchaus von bewundernswerter Raffinesse. Die rein technisch akustische Leistung ist beeindruckend. Präzise sind die Klänge durch den Raum gezogen und klingen einfach „gut“ und steht man erst einmal innerhalb einer akustischen Welle, dann wird man tatsächlich mitgerissen. Gleichzeitig ist ein Gefühl der emotionalen Unbestimmtheit für diese Raumkomposition bezeichnend. Das liegt in erster Linie an der Flüsterstimme aus dem Grammophone-Trichter, der Nähe und Intimität herstellen will, aber als musikalisch-akustischer Kunstgriff sich längst trivialisiert hat. Da wird der Anspruch mit den Mitteln nicht fertig. Wenn man sich nur mal für einen Moment vorstellen wollte, was Cages „Irischer Circus“ in diesem Ambiente zu wirken vermöchte, wird man sich der Beschränktheit des hier realisierten Werkes wirklich bewusst.

Dass man dazu noch des Verweises auf Goya „berühmte“ Radierung vergewissert, liegt aus der Sache gesprochen keineswegs auf der Hand. Dafür langt die musikalische Immanenz nicht, die eher mit unbestimmt wabernden Impressionen arbeitet ohne sie jedoch produktiv zusammenzubinden. Die Attraktivität des Stücks erschlägt seine Intention.

Wir haben ein paar akustische Eindrücke aus der Veranstaltung zusammengemischt, die natürlich nicht die räumliche Dimensionalität des Stücks wiedergeben kann, aber für einen ersten Eindruck vielleicht genügt. Eingemischt eine Passage aus der Eröffnungsveranstaltung.


HörBar: Klangwelle - Erklärung der Kuratoren - Neo-Barock |Schnitt|  Revolutionslied - Krähen

Berlin: Hamburger Bahnhof: Musikwerke Bildender Künstler: Janet Cardiff und George Bures Miller "The Murder of Crows"
14. März – 17. Mai 2009

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