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Die Molche übernehmen die Welt: Vladimír Franz' „Válka s mloky“ in Prag. Foto: Nationaltheater Prag
Die Molche übernehmen die Welt: Vladimír Franz‘ „Válka s mloky“ in Prag. Foto: Nationaltheater Prag
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Präsidentschaftskandidat vertont Europas Narrheit: Vladimír Franz‘ „Der Krieg mit den Molchen“ am Prager Nationaltheater

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Prag im Jahre 1936. Herr Povondra, der bequeme Allerweltsspießer, sitzt in seinem Kahn auf der Moldau und angelt. Was stört es ihn, dass der Weltuntergang längst begonnen hat, dass New Orleans unter Wasser steht und weltweit die Dämme brechen, denn die Molche brauchen Lebensraum und den finden sie nur im Wasser.

Inzwischen ist auch Dresden längst überfluet, die Welle des Unglücks kommt auf der Elbe über die Moldau auch nach Prag, und war das da eben, neben dem Angelkahn von Herrn Povondra, nicht doch schon der schwarze Kopf eines Molches im Wasser?

So geht der ironische Roman „Válka s mloky“, deutsch „Der Krieg mit den Molchen“, von Karel Čapek zu Ende, den er einmal angesichts dessen, was von Deutschland her über die Welt herauf zog und was zum anderen die Menschheit in ihrer globalen Verblendung aus Profitgier, Vergnügungssucht und Größenwahn an den Rand des Abgrunds trieb, geschrieben hat.

Vor Sumatra hat man eine unbekannte Molchart entdeckt. Aus den Tieren lassen sich zunächst leicht willige Arbeitssklaven machen. Ein Salamandersyndikat garantiert dass der Wohlstand Europas ins schier Unermessliche wächst. Aber die Masse der Molche wächst auch. Und bald wird der Platz für die Menschheit knapp und die Machtverhältnisse kippen so brutal um wie die klimatischen. Thomas Mann war begeistert: „Lange hat mich keine Erzählung mehr so gefesselt und gepackt. Ihr satirischer Blick für die abgründige Narrheit Europas hat etwas absonderlich Großartiges“.

Auch der tschechische Maler und Komponist Vladimír Franz ist von Čapeks so bitterem wie weitsichtigem Humor angetan und findet hier den Stoff für seine neue Oper, die er im Auftrag des Prager Nationaltheaters schreibt. Weder beim Abschluss des Vertrages noch bei der Festlegung des Termins für die Uraufführung in der Prager Staatsaoper, am 10. Januar 2013, war klar, dass dieser so bekannte wie umstrittene Künstler sich am 11. und am 12. Januar als einer von 15 Kandidatinnen und Kandidaten um das Amt des Präsidenten in Tschechien bewerben wird, der zu ersten Mal vom Volk direkt gewählt wird. Inzwischen hat das Volk gewählt, in zwei Wochen wird eine Stichwahl entscheiden, Vladimír Franz, besonders beliebt bei jungen Tschechen, ist nicht mehr im Rennen, also kann er malen, komponieren, lehren und provozieren, denn die Uraufführung seiner Oper „Válka s mloky“ dürfte mehr sein als ein Achtungserfolg.

Das gut zweistündige Stück konzentriert sich auf Hauptthemen aus dem Roman, bevorzugt Motive, die sich bildhaft und musikalisch eindringlich darstellen lassen, in denen es vor allem darum darum geht, wie die Menschheit sich selbst abschafft.
Die Handlung spielt in der Gegenwart. Sie beginnt am Meer – Pauschalurlaub mit Suff und Hawaikluft – und noch ist es possierlich, wenn sich ein paar drollige Molche mit roten Lichtaugenpunkten unter die trinkfeste Masse mischen. Es geht weiter mit der Gründung eines Salamandersyndikats zwecks Ausbeutung jener arbeitswilligen Molche. Sie werden sythematisch abgerichtet und und schaffen fortan unsichtbar. Zu sehen sind nur die Nutznießer: Eine so fette wie spießige Vergnügungsmasse Mensch feiert sich in origiastischen, pseudoreligiösen Veranstaltungen, der Sound dazu lässt keine Epoche aus.

Das Ambiente erinnert an einen griechischen Tempel, nur dass die Säulen stilisierte Bohrtürme sind, aus denen kleine Flammen züngeln. Und wie im Roman von 1936 so ist auch im Jahre 2013 in Prag, jetzt auf der Bühne der Staatsoper (ehemals Neues Deutsches Theater) das Geschehen unaufhaltsam. Bald übernehmen die Molche die Macht über ihre einst so mächtigen Ausbeuter und eine Schreckensmeldung jagt die andere. Jetzt sind es die Molche, die neuen Lebensraum brauchen, neue Meere braucht die Welt, die Erde wird geflutet.

Das ist schon ein schriller Tanz auf dem Vulkan, den man in der Oper „Der Krieg mit den Molchen“ erleben kann. Und weil eigentlich jeder über die Ernsthaftigkeit der Thematik Bescheid wissen müsste, könnte pure Aufklärung in einer Inszenierung dieses Stoffes nur langweilen. So orientieren sich Regisseur David Drabék und Ausstatter Šimon Caban an der Ironie des Originals und finden die Mittel ihrer grellen, ironischen und sehr detailreichen Überzeichnung des Geschehens in gängigen TV- und Pop-Formaten der Gegenwart – Kitsch in kräftigen Farben selbstverständlich eingeschlossen. Manchmal könnte meinen, man sei beim Neptunfest im Dschungelcamp oder beim Musikantenstadl auf Mallorca.

Man nutzt deftige Mittel des Volkstheaters, die werden aber gebrochen durch  Momente der Nachdenklichkeit, da steht dann mal alles still, auch wenn diese Welt eh schon auf dem Kopf steht. Zum Gruseln komisch und ironisch zugleich ist der Schluss: Die Molche übernehmen die Welt. Und mehr noch, Molche sind die besseren Menschen, denn sie geben der Menschheit noch mal eine Chance. Ein Paar hat überlebt, sie sollen der neue Adam und die neue Eva sein. Und schon ist auch der Molchmensch der Zukunft geboren, ein Kind, halb Molch, halb Mensch.

Der Komponist Vladimír Franz kennt sich gut aus in den Stilen des letzten Jahrhunderts und der Gegenwart und  lässt das auch genüsslich und gekonnt hören. Er mischt spätromantische Melodik frech mit meckerndem Zirkussound, Motiven aus Cabaret und Revue, Schenkelkopfern und Schlagergesäusel. Man vernimmt Chorsätze, als kämen sie aus der Kirche. Es gibt sensible Passagen eines hoffnungslosen Aussteigerpaares, klassischen Orchestersatz und technische Verfremdungen, Zuspielungen, Verstärkungen, das Chaos der Handlung korrespondiert mit Chaospassagen des Klanges. Das ist nicht durchgehend von gleicher Intensität, aber zieht doch immer wieder ins Geschehen und hält als ironische Unterhaltung die Aufmerksamkeit wach.

Bewundernswert ist wie der Dirigent Marko Ivanović den großen Apparat, viele Solisten in größeren und kleineren Partien, Chor, Orchester und Tänzer zusammenhält, immer wieder mächtig in Schwung bringt und alle sicher durch die stilistischen Stürme, halsbrecherischen Höhen und Untiefen der Musik von Vladimír Franz führt.

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