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Rekonstruktiver Orgelneubau unter Verwendung des historischen Gehäuses der Schöler-Orgel von 1754. Foto: © Hubert Fasen
Rekonstruktiver Orgelneubau unter Verwendung des historischen Gehäuses der Schöler-Orgel von 1754. Foto: © Hubert Fasen
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Prinzessinnen-Wunder vom Rhein – Eine Düsseldorfer Kirchengemeinde erkämpft sich eine Orgel-Rekonstruktion

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Es geht auch andersherum: Gewöhnt daran, Kunst und Kultur als Angelegenheiten des Zentrums zu betrachten, tun wir uns schwer mit den Aktivitäten in der Peripherie. Was kann da schon kommen?! Dass aber Provinz nicht automatisch provinziell bedeutet, belegt jetzt noch einmal der Kampf einer rheinischen Kirchengemeinde zugunsten einer qualitativen Orgel-Rekonstruktion. Ein Weihnachtsgeschenk nach Maß. Mit Selbstbeteiligung.

Düsseldorf-Urdenbach, im Dezember. – Ganz neu auf dem Parkett und schon so viel Charme. Da war ihr der Kosename natürlich sicher. Binnen Wochenfrist, nach intensivem Beschnuppern und Behören, stand fest: Leute, schaut her, ein „Prinzeßchen“! Sieht gut aus, exzellente Manieren und dieser Orgelton – wie aus dem Geiste der Kammermusik! So erfolgreich hatte „Prinzeßchen“ aller Welt den Kopf verdreht, dass die leichten Unklarheiten gar nicht weiter ins Gewicht fielen.

Sobald die Rede kam auf den Stammbaum der Dorfschönheit und damit auf die Frage, was das Werk von 2013 mit dem von 1754 gemein hat, wurde es holprig. Ist unser „Prinzeßchen“ nun „restauriert“ oder doch eher „rekonstruiert“? Und wenn ja, wie und wo? Ist sie „neu“ oder „neu-alt“? Ist sie nur „behutsam erweitert“, an „modernere Bedürfnisse angepasst“? Nur, was heißt hier ‚nur’? Und was haben wir da nun eigentlich vor uns: Eine „Neukonstruktion“? Einen „rekonstruktiven Neubau“? Oder eine „neue Orgel im rekonstruktiven Stil“? Bitte aussuchen und ankreuzen.

Altes Lied – Neues Lied

Wahrscheinlich ist es von allem etwas. Und die Unsicherheit der Worte nur Spiegel für eine ziemlich allgemeine Verunsicherung. Denn die viel beschworene „Moderne“, die liegt, wenn nicht schon hinter uns, so doch auf jeden Fall schwer im Magen. So schwer, dass man die Dorfschönheit aus dem tiefen Düsseldorfer Süden tatsächlich im Geiste des Orgelbauers Johann Wilhelm Schöler, eines Zeitgenossen von Kant und Mozart, hat neu erstehen lassen.

Aber was heißt das genau, wenn die ursprüng­liche Disposition unbekannt ist, wenn originale Windladen und Trakturen verloren sind? Genau genommen, entsorgt. Es ist ja das alte Lied. Nach zwei begeisterten Modernisierungen (spätromantisch 1886, neobarock 1958) blieb vom Instrument, das Orgelbaumeister Schöler aus Bad Ems den Urdenbacher Reformierten 1754 in ihre „Predigtkiche“ eingebaut hatte, nur mehr der König David-Prospekt. Letzterer ist jetzt immerhin wieder eine Augenweide wie er in Blau, Rot und Gold strahlt und wie er sich sinnfällig über die Außenhaut des Instruments ergießt als wolle der erste Harfenist der Bibel sagen: Was hier Klang ist, ist es durch mich! – Was den Urdenbachern seinerzeit auch vollauf genügte. Das einmanualige Schöler-Werk sowieso. Neun Register für die Hände, zwei für die Füße. Mehr brauchte es nicht, um den Gemeindegesang zu stützen. Konzerte? Uninteressant! Die gab es bei Hofe und in der großen Stadt.

Ein wenig Postkutsche

Soweit zurückgehen, wollte man aber denn doch nicht. Verständlicherweise nicht. Weshalb der Weg in Richtung Zweimanualigkeit ging, um auf der Basis des vorhandenen Prospekts mit Prinzipal 4’ einen koppelbaren Prinzipal Bass 8’ sowie (Stichwort: Grand Jeu) Posaune und Sub-Bass 16’ hineinzunehmen. Dazu das I-Tüpfelchen für Klang und Klangverschmelzung: die mitteltönige Stimmung „für das Dorf“. Zumal im Konzert mit Martin Schmeding zeigte sich, dass nachhallarme Räume wie die Urdenbacher Dorfkirche von nicht-gleichschwebenden Stimmungen nur profitieren können. Bester Beleg das aus purer Heiterkeit bestehende F-Dur-Flötenkonzert des vergessenen Christian Heinrich Rinck. Als Schmeding diese spritzige Pièce hinzauberte, war dies wie der Beweis, dass Johann Mattheson gar nicht so falsch lag als er meinte, dass F-Dur capable sei, die schoensten Sentiments von der Welt zu exprimiren. Was man nach diesem Konzert eigentlich für das Instrument als Ganzes sagen möchte.

Und damit der Lohn der Mühe fürs Team um Orgelbaumeister Hubert Fasen, für die Orgelsachverständigen Oskar-Gottlieb Blarr, Torsten Laux, Lukas Fischer vom Kuratorium sowie Jörg-Steffen Wickleder von der Gemeinde. Eine Aufgabenstellung, die einer Zwickmühle gleich kam: Soviel Schöler wie möglich, so viel „behutsame Erweiterung“ und „Anpassung an modernere Bedürfnise“ wie nötig. Ein Kompromiss also. Kein fauler, ein ehrlicher, war gefragt. Neu und alt zugleich realisieren. Was in Urdenbach am Kapitel Spielwind sinnfällig wird, kommt dieser doch wahlweise elektrisch oder vom Kalkanten, dem Balgtreter. Ein wenig Postkutsche muss sein, auch im Orgelbau des 21. Jahrhunderts.

Unprovinzielle Provinz

Womit wir wieder beim guten Ton wären. Den machen in Urdenbach eine handverlesene Versammlung exquisiter Register, worunter eins aus Birnbaumholz, die Flöte travier, Schölers Lieblingsregister, jetzt wieder ihren ganz großen Auftritt hat. Sicher, die große symphonische Literatur geht woanders besser. Doch immerhin: Die Konzerte mit Schmeding, mit Blarr und mit Torsten Laux haben übereinstimmend eine Darstellbarkeit demonstriert von Bach über Mozart und Mendelssohn bis in die Moderne. 

Bliebe nachzutragen, dass dem Klangwunder von Düsseldorf-Urdenbach ein anderes Wunder vorausgegangen ist. In einer fulminanten Anstrengung hat sich die Kirchengemeinde krumm gelegt, hat 200.000 Euro aufgebracht und den Kirchenkreis davon überzeugt, dieselbe Summe oben drauf zu legen. Ganz sicher das Verdienst eines rührigen Kuratoriums und seines Vorsitzenden, des früheren Neanderkirchen-Kantors Oskar-Gottlieb Blarr. Letzterer war so etwas wie die Schubkraft dieses Prinzessinnen-Wunders vom Rhein. Credo: Nur die „gute Orgel“ dient „zur Erbauung der Gemeinde“. Ein Wort Felix Mendelssohns, gerichtet seinerzeit an einen Düsseldorfer Oberbürgermeister. Eines, das sich die Gemeinde mittlerweile zu Eigen gemacht hat – mit den schönsten Folgen. Kleine Provinz ganz groß.

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